Kategorie Mobilität - 16. Mai 2015
Der leuchtende Zebrastreifen der Zukunft
Wien – Wer nicht muss, ist in der Nacht meist nicht gern mit dem Auto unterwegs. Man muss oft die Augen zusammenkneifen beim Versuch, die schwachen optischen Kontraste auf der Straße auszugleichen. Besonders schlecht sind Konturen zu erkennen, wenn die Fahrbahn nass ist. Andererseits verleitet der geringe nächtliche Verkehr oft zum Schnellfahren. Damit steigt folglich die Unfallgefahr, nicht nur für die Autofahrer selbst, sondern vor allem auch für Fußgänger, die die Straße überqueren wollen.
Jedes Jahr sterben in Österreich – laut Daten des Kuratoriums für Verkehrssicherheit – ungefähr zehn Fußgänger an ungeregelten Schutzwegen, überdurchschnittlich viele bei Dunkelheit oder in der Nacht. Der Grund: Sie wurden schlecht oder zu spät gesehen. Diesem Problemfeld ist das Forschungsprojekt „Highlight – Wahrnehmbarkeitssteigerung im Straßenverkehr durch bedarfsgerechte Straßenbeleuchtung“ gewidmet.
„Unser Ziel ist die Verbesserung der Verkehrssicherheit an ungeregelten Schutzwegen, und zwar wenn die Straßenbeleuchtung schon eingeschaltet ist“, sagt der Verkehrssicherheitsexperte Michael Aleksa vom Austrian Institute of Technology (AIT). „Uns geht es dabei nicht um eine bessere Beleuchtung des Schutzweges als solchen, dafür gibt es bereits Normen. Wir konzentrieren uns vielmehr auf den Annäherungsbereich.“ Dabei soll Lenkern und Lenkerinnen schon hundert Meter vor dem Zebrastreifen deutlich signalisiert werden, dass sie zu schnell unterwegs sind, und sie zum rechtzeitigen Bremsen oder Anhalten motivieren werden.
Das AIT ist einer der Partner im Projekt „Highlight“. Das Konsortium besteht neben dem AIT aus Wissenschaftern des Wiener IT-Dienstleisters Mobimera Fairkehrssicherheitstechnologien und des Grazer Elektronikspezialisten Micro Electronic Design Spath. Das Projekt wurde vom Österreichischen Verkehrssicherheitsfonds durch das Verkehrsministerium gefördert.
Licht erhöht Sicherheit
Jedem ist klar, Licht erhöht die Verkehrssicherheit. Doch welche Art von Beleuchtung macht Autofahrer in der Nacht im Annäherungsbereich von ungeregelten Schutzwegen besonders aufmerksam? Sind variable farbige Lichtmuster besser als statisches weißes Kunstlicht? Dieser wissenschaftlich noch nicht geklärten Fragen sind Forscher um den Projektleiter Robert Schönauer (Mobimera) und um Aleksa im Zeitraum von September 2012 bis Juni 2014 nachgegangen. Die Ergebnisse wurden kürzlich präsentiert.
Sie haben zwei Feldversuche an Zebrastreifen in Niederösterreich und in Wien durchgeführt. Dafür adaptierten sie die Leuchten an schon vorhandenen Lichtmasten. Zwei Drittel der LEDs ließen sie weiß, ein Drittel ersetzten sie durch Leuchtmittel im rot-orangen bzw. bernsteinfarbenen Lichtspektrum. Durch ein ausgetüfteltes Design mit Linsen sorgt dieses eine Drittel für einen auffallenden Lichteffekt. Es wirft einen rot-orangen bzw. einen orange-bernsteinfarbenen Lichtbalken quer über die Fahrbahn, sobald ein Lenker die zulässige Geschwindigkeit überschreitet. Dafür sorgen Sensoren, die in die Beleuchtung integriert sind. Sie detektieren die Autos, erfassen ihre Geschwindigkeit und regeln das Licht. Die farbigen Lichtbalken strahlen umso intensiver und blinken umso schneller, je stärker Autofahrer das Tempolimit überschreiten. Ein neuartiges variables optisches Bremssignal. Konkret sind es drei Balken im Abstand von ungefähr je 30 Metern, eben entsprechend den vorhandenen Lichtmasten.
Für Autofahrer, die sich an das Tempolimit halten, ändert sich nichts: Es leuchtet das normale weiße Licht. „Dimmbare LED-Leuchten mit integrierter Sensorik sind bereits mancherorts im Einsatz. Weltweit einzigartig ist aber unser Balken-Blinkeffekt auf der Straße“, sagt Aleksa. Zur genauen Analyse haben die Forscher neben Radarmessungen auch Videoaufzeichnungen durchgeführt. Für den Datenschutz sorgte eine verschlüsselte Kennzeichenerfassung.
Und was haben die Feldversuche ergeben? „Wir konnten sowohl in Niederösterreich als auch in Wien zeigen, dass mit Lichteffekten überhöhte Geschwindigkeiten reduziert werden, durchschnittlich um sieben bzw. vier Stundenkilometer. Niedrigere Geschwindigkeiten bedeuten eine potenziell geringere Verletzungsschwere der Fußgänger und damit eine höhere Verkehrssicherheit“, resümiert Aleksa. Dafür, dass die Beeinflussungen durch Tests am ungeregelten Schutzweg in der Leberstraße in 1110 Wien deutlich geringer ausfielen als diejenigen vom Zebrastreifen in Maria-Lanzendorf in Niederösterreich, hat Aleksa eine plausible Erklärung.
„Der Schutzweg an der B11 in Niederösterreich liegt bei der Ortseinfahrt, kurz nach einer 100-km/h- bzw. einer 70-km/h-Strecke. Viele Autofahrer gehen hier zu spät vom Gas. Die Lichteffekte haben da einen sehr guten Bremseffekt. Sieben Stundenkilometer langsamer ist beachtlich.“
Parallel dazu habe sich die Anhaltebereitschaft der Lenker fast verdoppelt, von 50 auf 93 Prozent. „Wenn ein Fußgänger über den Zebrastreifen will, braust hier in der Nacht normalerweise jeder Zweite einfach vorbei. Mit den Lichteffekten tut das fast keiner mehr.“
Gewöhnungseffekte
Anders ist die Situation in der Wiener Leberstraße. Hier im Stadtgebiet bei einer engen Fahrbahn und mit einem Supermarkt sowie einer S-Bahn-Station in unmittelbarer Nähe werde generell deutlich langsamer gefahren, sagt Aleksa. Zusätzliche Lichteffekte bringen hier nur mehr eine geringe Geschwindigkeitsreduktion von vier Stundenkilometern. Zu erwarten sei auch das zweite Ergebnis gewesen, dass sich die – von Haus aus hohe – Anhaltebereitschaft von 86 Prozent statistisch nicht mehr signifikant steigern ließ.
Fazit: Besonders an Ortseinfahrten mit breiten Fahrstreifen und einem hohen Tempo der Autofahrer haben innovative Lichteffekte für die nächtliche Verkehrssicherheit der Fußgänger einen unverkennbaren Mehrwert, sagt Aleksa. Nach den Kurzzeit-Feldtests wollen die Forscher nun in Langzeittests die Gewöhnungseffekte der Lenker untersuchen. (Maria Mayer, DER STANDARD, 16.5.2015)