Kategorie Mobilität - 17. Juli 2015

Akustik: Komponisten für die Autoindustrie

Auch eine Klimaanlage macht Lärm. Wer im Sommer sein Auto kühlt, erzeugt dabei zugleich Geräusche, die die Akustik im Fahrzeuginneren stören können. „Überall, wo Bauteile von Luft durch- oder umströmt werden, kann Lärm entstehen“, sagt Anton Fuchs vom Grazer Kompetenzzentrum Virtual Vehicle. Dort befassen sich die Forscher mit Aeroakustik: Sie messen und simulieren Strömungsgeräusche. Ziel ist, diese in der Fahrzeugentwicklung von Vornherein zu vermeiden.

„Schon kleinere geometrische Änderungen wirken sich auf die Geräuschentwicklung aus“, so Fuchs. Windgeräusche sind von der Konstruktion des Fahrzeugs abhängig. Kleine Kanten an der A-Säule, Seitenspiegeln oder Scheibenwischerblättern reichen aus, die Strömung der Luft zu ändern, sodass sie zu hören ist. Wie eine Windschutzscheibe befestigt ist, macht einen Unterschied. Und auch schmale Schlitze in den Fahrzeugtüren wirken sich aus: Durch eine Verwirbelung entsteht ein Ton. Bei Musikinstrumenten wie einer Flöte ist das erwünscht, beim Auto stört ein Pfeifen, das etwa durch den Luftstrom in einem Rohr entsteht.

Geräuschtests im Windkanal

Was den Schall anregt und wie er sich ausbreitet, untersuchen die Wissenschaftler gemeinsam mit Unternehmen aus dem Automobil-Bereich. In einem speziellen Akustik-Windkanal testen sie Geräusche bei verschiedenen Geschwindigkeiten. Das komplette Fahrzeug wird aus unterschiedlichen Winkeln angeströmt. Störende Außengeräusche lassen sich dabei ausmerzen, sodass der Fokus ganz auf dem Wind liegt. Zusätzlich messen sie die Geräusche im normalen Fahrbetrieb, also bei Testfahrten auf der Straße.

Aus den daraus gewonnenen Daten lassen sich Computermodelle kontrollieren und weiterentwickeln. Am Virtual Vehicle, einem von Wissenschafts- und Technologieministerium geförderten Comet-Zentrum, arbeitet man dann daran, alle für die Fahrzeugentwicklung wichtigen Aspekte zu simulieren. Das Ziel ist, künftig durch virtuelle Vorhersagewerkzeuge immer mehr auf teure Prototypen verzichten zu können. Vor allem Geräusche, die nahe am Fahrer oder den Fahrgästen sind, gilt es zu vermeiden. Eine bessere Aerodynamik ist aber nicht nur gut für Akustik und Fahrkomfort; sie hilft auch Sprit zu sparen und schädliche CO32-Emissionen zu reduzieren.

Immer wichtiger sind die Simulationen auch für Elektroautos. Dabei geht es aber weniger darum, Lärm zu vermeiden – es gibt ja kein lautes Motorgeräusch. Hier will man den Sound gezielt erzeugen. Das soll erstens Passanten schützen, damit sie vom ruhigen Anrollen eines E-Autos nicht überrascht werden. Zweitens will man dem Fahrer so ein Gefühl für Geschwindigkeit und Bremswirkung vermitteln. Und drittens wird mit dem jeweiligen Klang auch eine bestimmte Marke verbunden.

Künstler lösen Technikfragen

Daran arbeiten Wissenschaftler der Grazer Kunst-Uni im – ebenfalls im Comet-Programm geförderten – K-Projekt Acoustic Sensing & Design (siehe auch Beitrag unten). Die Herausforderung ist dabei aber mehr eine technische als eine künstlerische: „Wir lernen vom Klang eines klassischen Verbrennungsmotors und wenden das Geräuschmuster in der Elektromobilität an“, sagt Alois Sontacchi vom Institut für Elektronische Musik und Akustik. Auf Teststrecken oder einem Prüfstand, bei dem sich das Fahrzeug auf Rollen im Stand bewegt, wird gemessen – auch hier wieder in direkter Zusammenarbeit mit einem Industriepartner.

Bei der Klanggestaltung sind zunächst rechtliche Vorgaben zu beachten. Aber dann geht es vor allem darum, wie sich das Fahrzeug anhören soll, damit es mit einer bestimmten Marke verbunden wird. Die Klänge lassen sich kontrolliert erzeugen und werden eingespielt, möglich ist faktisch alles. Die Forscher werden so zu Komponisten für die Autoindustrie. Dabei ließe sich einem Auto zugleich auch eine persönliche Note verleihen: „Auch ein Kleinwagen kann klingen wie ein Sportcabrio“, sagt Sontacchi. Mehrere Mikrofone und Lautsprecher im Inneren des Autos sorgen für die passende akustische Kulisse.

Vogelzwitschern statt Motoren

Wie der Klang auf den Menschen wirkt, wird schließlich an 40 geschulten Testpersonen untersucht: Ihr Gehör wurde in einem früheren Projekt getestet, sie erhielten ein spezielles Training, um die Akustik bewerten zu können. Der Mensch wirkt also als zusätzliches Messsystem – ein Klangerlebnis sei schließlich auch immer etwas Subjektives, so Sontacchi. In einer eigenen Studie soll auch untersucht werden, ob Geschlecht, Alter oder kultureller Hintergrund einen Unterschied machen.

Der Forscher besitzt seit Kurzem selbst ein Elektroauto und ist beeindruckt davon, wie leise es fährt. Dient das Auto also künftig als Oase der Ruhe in einer reizüberfluteten Welt? Mehr noch: Der Hörgenuss ließe sich noch weiter an die Vorlieben einer Person anpassen. „Verschiedene Naturgeräusche lassen sich mit dem Computer erzeugen“, sagt der Forscher. Und so könnte schon bald das Meer rauschen statt der Motor surren. Auch Vogelzwitschern oder das Geräusch von Feuer ist denkbar, wenn man aufs Gas steigt. Einen ersten Prototypen dafür gibt es jedenfalls bereits.