Kategorie Innovation & Technologie - 17. Juli 2015
App: Digitale Navigationshilfe für Blinde
Für Sehende wie für Blinde ist Mobilität ein wichtiger Aspekt von Lebensqualität. Ohne fremde Hilfe von A nach B zu reisen ist jedoch für einige sehbehinderte und blinde Menschen mit Unsicherheit verknüpft. Das hat für Werner Bischof, Experte für den öffentlichen Verkehr an der Fachhochschule Joanneum, vor allem mit dem Zugang zu Information zu tun. Wie einer der 15 blinden Mobilitätsexperten, mit denen er im Forschungsprojekt Ways4me zusammengearbeitet hat, betont, sei „Blindheit eine Informations-, aber keine Mobilitätsbehinderung“.
Unter der Leitung des Studiengangs Energie-, Verkehrs- und Umweltmanagement der FH Joanneum in Kapfenberg hat das Team nun eine barrierefreie Anwendung für mobile Geräte mit Android-Betriebssystem entwickelt, die kürzlich mit dem Staatspreis für Mobilität des Technologieministeriums BMVIT in der Kategorie „Forschen. Entwickeln. Neue Wege weisen.“ ausgezeichnet wurde. Diese soll zunächst sehbehinderten und blinden, später auch älteren und gehörlosen Menschen sowie Rollstuhlfahrern die Nutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln erleichtern.
Ohne Blindenhund orientieren
Ohne Begleitung bzw. Blindenführhund fällt es sehbehinderten Menschen schwer, sich zu orientieren. Ein Beispiel sind Doppelhaltestellen: Sehende erkennen sofort, welche Linien hier halten, und wissen, in welches Verkehrsmittel sie einsteigen müssen. Für sehbehinderte Menschen ist das schwierig. Sie sind auf andere angewiesen.
Mit einer barrierefreien Mobilitätsapplikation, wie sie im Projekt entwickelt wurde, läuft das Szenario anders ab: Günther ist blind. Sein Smartphone lotst ihn via WLAN durch den Westbahnhof. Sein weiterer Weg führt ihn zu einer Doppelhaltestelle. Ein Bus fährt ein, es ist aber die falsche Linie. Anstatt Passanten fragen zu müssen, nimmt er sein Smartphone zur Hand. Der Screenreader liest ihm vor, um welche Linie es sich handelt. Stoppt der richtige Bus, weiß der Lenker bereits, dass ein blinder Fahrgast einsteigt. Wo er aussteigen muss, erfährt der Blinde ebenfalls über das Smartphone. Im Freien wird er via GPS weitergelotst.
„Zusätzlich haben wir einen Sicherheitsalgorithmus implementiert. Dieser funktioniert wie eine Art Korridor und überprüft permanent, ob sich der Benutzer auf dem richtigen Weg befindet. Sobald man diesen verlässt, wird man darüber informiert und kann die Route korrigieren“, so Bischof.
Ein Knackpunkt war die Indoor-Navigation, da GPS hier nicht funktioniert. Mit dem Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen holte man sich Experten in puncto Indoor-Navigation an Bord. Ein dichtes Netz an WLAN-Hotspots, wie etwa am Wiener Westbahnhof, bildet derzeit die Voraussetzung für eine präzise Indoor-Standortbestimmung: 180 Hotspots in Kombination mit dem taktilen Blindenleitsystem ermöglichen eine Genauigkeit von fünf bis zehn Metern. Mit Bluetooth 4.0 (siehe Lexikon) ließe sie sich noch erhöhen.
Rolltreppen eingezeichnet
Großes Plus ist die Zugänglichkeit von Kartenmaterial wie Open-Streetmap. Darin lassen sich Barrieren wie Stiegen und Rolltreppen einzeichnen und in die App einspeisen. Das wurde im Projekt am Westbahnhof auch gemacht. Eine große Hilfe war für die Entwickler auch, dass alle Verkehrsverbünde in der Verkehrsauskunft Österreich (VAO) zusammengeführt worden waren. Projektpartner waren unter anderem die Wiener Linien, die ÖBB und österreichische Blinden- und Sehbehindertenverbände.
Barrierefreie Applikationen unterscheiden sich wesentlich von gängigen Apps, und ihre Entwicklung ist generell sehr komplex. Aktuell verfügbare Beispiele sind die Lupenfunktion und die Farberkennung, die den Alltag von sehbehinderten und blinden Menschen unterstützen, derzeit aber nur auf Smartphones mit iOS- oder Android-Betriebssystem nutzbar sind.
Auch für das Ways4me-Team hat gegolten: Alle Inhalte müssen für den Screenreader lesbar und listenförmig aufgebaut sein. Einfache Bedienbarkeit und eine klare Informationsaufbereitung sind ebenfalls ein Muss. Mit der Strategie, die barrierefreie Applikation so aufzubauen, dass jedes Modul für sich allein entwickelt werden kann, ist der Projektleiter jedenfalls zufrieden. Damit könne man auch auf das hohe Tempo in der Telekommunikationsbranche flexibel reagieren. Falls eine Entwicklung die eigene technologisch überholt, kann man diese einfach anpassen.
Für alle mobilen Plattformen
Kaum Konkurrenz gebe es derzeit bei der Kommunikation zwischen Smartphone und Bordrechner, dem sogenannten Fahrzeugmodul. „Wir gehen dem nach und testen hier nach WLAN jetzt auch mit Bluetooth 4.0“, sagt Bischof. Der Vorteil ist ein schnellerer Verbindungsaufbau, außerdem würde das Service so in Zukunft auf allen mobilen Plattformen funktionieren.
Das Smartphone eröffnet Blinden und sehbehinderten Menschen jedenfalls auch in puncto Mobilität eine neue Welt. Zusammen mit bundesweiten Verkehrsinfos, tastbaren Leitsystemen sowie einer präzisen Indoor- und Outdoor-Navigation wird der Weg hin zu mehr Unabhängigkeit schrittweise geebnet.