Kategorie Innovation & Technologie - 19. Oktober 2018

Aufbruch zum Merkur: Countdown für die Mission BepiColombo

Aufbruch zum Merkur: Wissenschaftler in aller Welt fiebern einer hochkomplizierten Reise zu einem der am wenigsten erforschten Planeten des Sonnensystems entgegen. Am 20. Oktober, Samstagmorgen um 03.45 Uhr mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ), soll mit BepiColombo die erste europäisch-japanische Forschungsmission zum sonnennächsten Planeten starten.

Ziel des Gemeinschaftsprojekts der europäischen Raumfahrtagentur ESA und der japanischen Weltraumbehörde JAXA ist es, tiefer in die Geheimnisse des Merkurs einzudringen als jemals zuvor.

Der Merkur. © NASA

High-Tech & Know-how aus Österreich ist auch bei dieser Mission wieder mit an Bord. Die heimische Weltraumindustrie ist an BepiColombo maßgeblich beteiligt und konnte dafür Aufträge in Millionenhöhe an Land ziehen.

BepiColombo wird mit einer Ariane-5-Trägerrakete von Europas Weltraunmbahnhof Kourou in Französisch-Guayana ins All starten. Bislang erreichten nur zwei Missionen der US-Raumfahrtbehörde NASA den Merkur – Mariner 10 in den 1970er Jahren und die Raumsonde Messenger, die den den Merkur von 2011 bis zur Erschöpfung ihres Treibstoffvorrats im April 2015 umkreiste.

Im Rahmen von BepiColombo werden erstmals zwei Weltraumsonden zugleich zum Planeten Merkur fliegen, wie Wolfgang Baumjohann, Direktor des Grazer Instituts für Weltraumforschung (IWF) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) im Gespräch mit der APA im Vorfeld des Starts erklärte. Das Grazer IWF ist federführend an drei Messgeräten beteiligt.

Das Österreichische Weltraumprogramm ASAP des Bundesministeriums für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) unterstützt die Entwicklung der wissenschaftlichen Gerätschaften mit 2,5 Millionen Euro.

„Die beiden Orbiter werden den Planeten von zwei unterschiedlichen elliptischen Umlaufbahnen zeitgleich beobachten“, schilderte der Grazer Institutsleiter. Insgesamt werden sie mehr als ein Dutzend Messinstrumente tragen und auf dem von der ESA gebauten Merkur-Transportmodul (MTM) zunächst sieben Jahre lang unterwegs sein, bis sie die Merkur-Zielumlaufbahn erreichen. Merkur zählt wegen seiner Nähe zur Sonne zu den noch am wenigsten erforschten Planeten im inneren Sonnensystem. Bisher war er nur von zwei NASA-Missionen in den Fokus gerückt worden.

Erkenntnisse vom Planeten der Extreme

Der Merkur ist eine Welt der Extreme: Er zeigt riesige Einschlagbecken, bis zu drei Kilometer hohe Steilkanten, die auf ein Schrumpfen des Planeten hindeuten sowie etliche vulkanisch entstandene Gebiete. Hinzu kommen Höchsttemperaturen von 470 Grad Celsius, ein schwaches globales Magnetfeld und eine ausgesprochen dünne Atmosphäre, genannt Exosphäre.

Der kleine Planet ist mit einem Durchmesser von 4.878 Kilometern nur wenig größer als unser Mond. Bei einer mittleren Sonnenentfernung von 57,9 Millionen Kilometern beträgt seine Umlaufzeit um die Sonne etwa 88 Tage, die Rotationsperiode 58,65 Tage. Aus der Kombination dieser Drehbewegungen ergibt sich, dass der Wechsel zwischen Tag und Nacht ganze 176 Tage dauert. Auf der Sonnenseite des sonnennahen Planeten herrschen Temperaturen von etwa 430 Grad Celsius, die Nachtseite kühlt auf minus 180 Grad Celsius ab.

Vom wissenschaftlichen Programm der Mission erwarten sich die Forscher revolutionäre Erkenntnisse über die Entwicklung von in der nächsten Umgebung der Sonne befindlicher Planeten und die Entstehung des Sonnensystems insgesamt. „Die Nähe zur Sonne und die damit verbundenen Temperaturen stellen bei der Erforschung des Planeten natürlich eine besondere Herausforderung für die Technik dar“, so Baumjohann.

Untersuchung von Magnetfeld & Oberfläche

BepiColombo besteht aus den beiden Forschungssonden MPO und MMO: Der Merkur-Planetenorbiter der ESA (MPO) erforscht die Oberfläche des weitgehend unbekannten Himmelskörpers. Die japanische Sonde MMO wird in einer Entfernung von 11.640 Kilometern bis minimal 680 Kilometern den Planeten umrunden.

Das Magnetfeldmessgerät (Mermag M) auf dem japanischen Orbiter MMO hat das Grazer IWF entwickelt und gebaut. Die wichtigsten wissenschaftlichen Ziele der japanischen Sonde sind aus der Perspektive von Baumjohann die Erforschung der Struktur und Dynamik der Magnetosphäre des Merkur und deren Wechselwirkung mit dem noch sehr jungen und ungestümen Sonnenwind.

Die Entwicklung von Magentfeldmessgeräten (Magnetometern) hat eine lange Tradition am IWF: Die ersten Geräte flogen bereits Anfang der 1980er-Jahre an Bord der russischen VENERA-Raumsonden in den interplanetaren Raum. Im Rahmen internationaler Weltraummissionen flogen Magnetometer des IWF aber auch zum Mars, zu Asteroiden und Kometen.

Siebenjähriger Flug

Das Merkur-Transportmodul (MTM) der Mission BepiColombo wird während seines siebenjährigen Flugs einmal an der Erde, zweimal an der Venus und mehrmals am Planeten Merkur vorbeifliegen, um zu entschleunigen, um nicht auf die Sonne abzustürzen. Wenn die Zielumlaufbahn wie geplant im Dezember 2025 erreicht sein wird, trennen sich die beiden autonomen Wissenschafts-Satelliten vom MTM.

Der europäische „Mercury Planetary Orbiter“ (MPO) fokussiert bei seinen Messungen auf die Oberfläche und die Exosphäre des Planeten Merkur. MPO verfügt unter anderem über eine hochauflösende Mapping-Kamera, einen Laser-Höhenmesser, einen Beschleunigungssensor und ein Set von Spektrometern. So will man die Topografie des Planeten erkunden und dabei auch in dunkle Krater blicken, die Wassereis enthalten könnten. Die endgültige Umlaufbahn des Orbiters ist etwa zwischen 480 Kilometern und 1.500 Kilometern vom Merkur entfernt.

Grazer IWF federführend beteiligt

„Die wichtigsten Ziele der Magnetfeldmessungen auf MPO sind die detaillierte Erforschung des Eigenfeldes des Planeten und damit verbunden die Bestätigung von Modellen, die das Innere des Merkur beschreiben“, legte Wolfgang Baumjohann vom Grazer IWF dar. „Bis in die 1970er-Jahre dachte man, der Planet hat überhaupt kein Magnetfeld. Nun weiß man, er hat eines, aber deutlich schwächer als das der Erde“, wie der Weltraumforscher schilderte. „Wir wollen besser verstehen, wie das Magnetfeld von Merkur wirklich aussieht und wo und wodurch es erzeugt wird“, so der Grazer Experte.

Für das Magnetfeldmessgerät auf dem MPO, der den Planeten relativ nahe umkreist, hat das Grazer IWF das technische Management übernommen und die Hard- und Software der Datenverarbeitungseinheit entwickelt. Die Leitung lag in diesem Fall bei der TU Braunschweig.

Unter der Führung des IWF hat ein internationales Forscherteam auch ein Massenspektrometer für den MPO entwickelt, wie Baumjohann weiter ausführte. Die sogenannte Planetary Ion Camera (PICAM) dient dazu, die Kette von Prozessen zu studieren, in denen Neutralteilchen aus dem Boden des Merkur herausgeschlagen, ionisiert und schließlich in die Umgebung des Merkur befördert werden.

Durch die Beobachtungen der niederenergetischen Teilchenemissionen von der Merkuroberfläche, ihrer Quellgebiete sowie der Auswurfmechanismen und dem Zusammenspiel mit dem Sonnenwind soll die Mission zu einem besseren Verständnis von der Bildung der dünnen Atmosphäre des Merkur und seines Magnetosphärenplasmas kommen.

Die Entwicklung der Instrumente wurde vom nationalen Programm ASAP des Weltraumministeriums (BMVIT) über die FFG mit knapp 2,5 Millionen Euro unterstützt.

High-Tech & Know-how aus Österreich

Neben dem starken österreichischen Wissenschaftsanteil an der Mission gibt es auch eine hohe Beteiligung der heimischen Weltraumindustrie an BepiColombo. Für den richtigen Weg zum Merkur sorgt ein Lenksystem, das von Österreichs größtem Weltraumtechnik-Unternehmen, der RUAG Space Austria, entwickelt und gebaut wurde.

Es besteht aus vier hochpräzisen Positionsmechanismen für die elektrischen Satellitentriebwerke und einer zentralen elektronischen Steuereinheit. Für die Ausrichtung der Solarpaneele lieferte das Unternehmen die Motorsteuerung.

 

Weiters sorgt Weltraumtechnik made in Austria für den Hitzeschutz. „Merkur ist der sonnennächste Planet, daher muss die Sonde extreme Hitze über 450 Grad aushalten“, teilte Max Kowatsch, Geschäftsführer der RUAG Space Austria im Vorfeld des Missions-Starts mit. Die am niederösterreichischen RUAG -Standort in Berndorf hergestellte Thermalisolation schützt die Sonde vor den extremen Temperaturen.

Die Hochtemperaturisolation besteht aus Keramikfasern, gleichzeitig dient sie auch als Schutz gegen Mikrometeoriten. Die Gesamtaufträge belaufen sich laut Kowatsch auf rund 33 Millionen Euro: „Das ist die bisher größte Beteiligung eines österreichischen Unternehmens an einer Wissenschaftsmission der europäischen Weltraumorganisation ESA.“

„Ich bin sehr stolz, dass österreichische Firmen und Forschungseinrichtungen so prominent bei dieser außergewöhnlichen Weltraummission vertreten sind“, zeigt sich auch Weltraumminister Norbert Hofer vom österreichischen Beitrag zur Mission begeistert.

FFG-Geschäftsführer Henrietta Egerth und Klaus Pseiner betonen: „Weltraumtechnologie ist technologische Spitzenleistung; Österreich ist in diesem Bereich eine wichtige Größe in Europa. Das bringt nicht nur akademische Anerkennung, sondern ist auch wirtschaftlich bedeutend für das Land: Im Rahmen der Merkur-Mission sind Aufträge in der Höhe von insgesamt 36 Millionen Euro nach Österreich geflossen, so viel wie noch nie für solche Missionen.“

„Manchmal ist es nicht gleich ersichtlich, was modernste Weltraumtechnik und Spitzen-Forschung für die Allgemeinheit bringt. Aber wenn man an die Navigations-Technik in Handys, Navis und neuerdings Flugzeugen denkt, an Satellitenfernsehen, an digitale Landkarten im Internet und an Wettersatelliten, die genaue Wettervorhersagen ermöglichen, dann wird schnell deutlich, dass Weltraumtechnologie auch in unserem Alltag eine sehr große Rolle spielt“, so Hofer weiter.

Selfie-Alarm

Ungewöhnliche Ansichtes der Mission werden uns von gleich drei Überwachungskameras (auch Selfie-Cams) geliefert, die am Mercury Transfer Module MTM befestigt sind. Eine der Überwachungskameras ist auf dem MTM mit einem Sichtfeld positioniert, wie in Bild unten zu sehen ist, und schaut zum Mercury Planetary Orbiter (MPO), der darüber sitzt.

Die Solar-Arrays der MTM sind zum Start noch gefaltet, was zur anscheinend blockierten Aufnahme geführt hat, aber nach dem Launch im All wird die Kamera beste Aussichten haben.

Am Vorabend des Starts, am 19. Oktober, informiert das Grazer IWF in seinen Institutsräumen im Gebäude der Österreichischen Akademie der Wissenschaften in mehreren Kurzvorträgen über das ehrgeizige Projekt und lädt Nachteulen auch dazu ein, sich den Start in einer Liveübertragung am Institut anzusehen. Mehr dazu und ausführliche Infos zu den Beiträgen des IWF zur Mission finden Sie unter: http://www.iwf.oeaw.ac.at/aktuelles/singleview-homepage/news/countdown-fuer-den-flug-zum-merkur/

apa/red

Die ESA bietet einen Livestream zum Start: http://www.esa.int/Our_Activities/Space_Science/BepiColombo/Watch_BepiColombo_launch

INFObox: Das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (BMVIT) investiert jährlich rund 70 Millionen Euro in den Weltraumsektor. Unter Einrechnung der EU-Flagschiffprogramme Copernicus, Galileo/EGNOS und H2020 liegt Österreichs Beitrag bei etwa 100 Millionen Euro pro Jahr. Österreich finanziert Programme der ESA mit und ermöglicht österreichischen Betrieben so, sich für Aufträge im Rahmen der ESA-Missionen zu bewerben. Darüber hinaus wurde bereits 2002 das Österreichische Weltraumprogramm ASAP vom BMVIT initiiert, welches von der Agentur für Luft- und Raumfahrt der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) umgesetzt wird. Dieses Förderprogramm unterstützt die österreichische Raumfahrt-Hochtechnologie bei der Erreichung internationaler Spitzenleistungen in der gesamten Bandbreite der Raumfahrt: Von der Weltraumforschung und Wissenschaft über Technologieentwicklungen bis zu Anwendungen der Raumfahrttechnologien, wie Erdbeobachtung, Telekommunikation und Navigation.