Kategorie Mobilität - 31. Mai 2019

Fluch oder Segen E-Scooter-Flut: Das ändert sich ab Juni

Bird, Lime, Hive, Voi, Tier, Wind, Flash und Arolla – was nach Protagonisten einer neuen Superhelden-Saga klingt, beschreibt den Boom einer nicht ganz neuen Welle der urbanen Fortbewegung. Batteriebetriebene Miet-Roller, wie aus dem Nichts aufgetaucht und nun in Österreichs größeren Städten – allen voran Wien – an so gut wie jeder Ecke sicht- und ausleihbar. Allein in Wien gibt es inzwischen sechs verschiedene Anbieter zum Ausleihen der Roller.

Der Elektroroller von VERTICAL © VERTICAL

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Das Roller-Sharing als Geschäftsmodell ist ein relativ junges Phänomen, bei dem derzeit Marktpotentiale ausgelotet und Marktanteile erkämpft werden wollen. Die Anbieter erhoffen sich saftige Einnahmen, wirklich Geld verdient aber noch keiner der Beteiligten, auch international nicht, wie das Beratungsunternehmen Boston Consulting Group (BCG) bereits in einer Studie festgestellt hat.

Ein praktisches Fortbewegungsmittel auf zwei winzigen Rädern oder ein Fluch für den innerstädtischen Verkehr? Die Flut der Elektrotretroller hat neben allen Kontroversen auch die Gesetzgeber auf den Plan gerufen. Nicht nur in Österreich, auch in anderen Ländern, werden die Verkehrsordnungen den vielen Rollerfahrenden angepasst. In Madrid sind sie quasi über Nacht ausgebremst worden, in Berlin diskutiert man noch den Umgang mit einer nicht ganz neuen, dafür äußerst massentauglichen Technologie, in Paris sollen sie möglichst bald vom Trottoir verbannt werden.

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In Österreich werden Elektro-Tretroller mit maximal 600 Watt und einer Höchstgeschwindigkeit von 25 km/h nun im Zuge der 31. StVO-Novelle rechtlich Fahrrädern gleichgestellt. Damit einher geht das grundsätzliche Verbot, mit den Rollern auf Gehsteigen und Schutzwegen zu fahren (behördliche Ausnahmen möglich). Außerdem ist es dann für E-Scooter-Fahrende verboten, ohne Freisprecheinrichtung zu telefonieren und es gilt ein Alkohollimit von 0,8 Promille.

Das ändert sich mit Juni

Elektrisch betriebene Klein- und Miniroller (Elektro-Scooter) mit einer höchstzulässigen Leistung von 600 Watt und einer Bauartgeschwindigkeit von nicht mehr als 25 km/h zählen zu den „Kleinfahrzeugen vorwiegend zur Verwendung außerhalb der Fahrbahn“.

Benützung

Achtung: Die Benützung von Gehsteigen, Gehwegen und Schutzwegen ist grundsätzlich verboten. Ist eine Radfahranlage vorhanden, muss diese benützt werden.

Erlaubt ist das Befahren

  • von Radfahranlagen
  • von Fahrbahnen, auf denen das Radfahren erlaubt ist
  • von Fußgängerzonen, Wohnstraßen und Begegnungszonen mit an den Fußgängerverkehr angepasster Geschwindigkeit
  • von Gehsteigen und Gehwegen in Schrittgeschwindigkeit nur, wenn es von der zuständigen Behörde durch Verordnung erlaubt wird.

Benützer von Elektro-Scootern müssen alle für Radfahrer geltenden Verhaltensvorschriften beachten. Sie haben sich so zu verhalten, dass andere Verkehrsteilnehmer weder gefährdet noch behindert werden.

Alter

Kinder unter 12 Jahren dürfen mit einem Elektro-Scooter im öffentlichen Verkehr nicht alleine unterwegs sein. Sie müssen von einer Person beaufsichtigt werden, die mindestens 16 Jahre alt ist. Besitzen die Jugendlichen einen Radfahrausweis, dürfen sie alleine mit einem Elektro-Scooter unterwegs sein.

Ausrüstung

Die E-Tretroller müssen mit einer wirksamen Bremsvorrichtung und Rückstrahlern bzw. Rückstrahlfolien ausgestattet sein und über Vorder- und Rücklicht verfügen. Demnach sind Elektro-Scooter

  • mit einer wirksamen Bremsvorrichtung
  • mit weißen Rückstrahlern oder Rückstrahlfolien nach vorne
  • mit roten Rückstrahlern oder Rückstrahlfolien nach hinten und
  • mit gelben Rückstrahlern auf der Seite

auszurüsten.

Bei Dunkelheit und schlechter Sicht sind Elektro-Scooter zusätzlich mit einem weißen Licht nach vorne und mit einem roten Rücklicht auszurüsten.

Die Regeln im Ausland

Auch in Frankreich dürfen E-Scooter dürfen bald nicht mehr auf dem Gehweg gefahren werden. Verkehrsministerin Elisabeth Borne kündigte eine Neuregelung an, die im September in Kraft tritt. Diese sieht Geldstrafen für jeden vor, der auf dem Gehsteig mit einem der elektrisch angetriebenen Kleinroller oder einem ähnlichen Gefährt unterwegs ist.

Der ÖAMTC hat dazu seine Partnerclubs befragt. Fazit: Die Vorschriften in den Ländern Europas unterscheiden sich teils stark. Wer die E-Tretroller als Tourist im Ausland nutzt, sollte sich vorab unbedingt über die örtlichen Vorschriften informieren. So war beispielsweise in Deutschland geplant, E-Tretroller auf Gehwegen zu erlauben, auch wenn von diesen Plänen schnell wieder Abstand genommen wurde.

Der deutsche Bundesrat hat bereits eine neue Verordnung für Elektrokleinstfahrzeuge beschlossen. Bis die Verordnung tatsächlich in Kraft tritt, werden noch einige Wochen oder gar Monate vergehen. Folgende Bedingungen werden für E-Scooter in Deutschland künftig aber sicher gelten: Höchstgeschwindigkeit bei 20 km/h auf Radwegen oder der Straße (wenn kein Radweg vorhanden). Die Benutzung von Gehwegen ist nicht erlaubt. Man soll einzeln hintereinander fahren und schnellere Radfahrer überholen lassen. Pflichtausstattung: Eine Lenk- oder Haltestange, zwei voneinander unabhängigen Bremsen, Glocke, Scheinwerfer, Schlussleuchte, Rückstrahler und Seitenreflektoren. Also ähnlich wie bei der Fahrradausrüstung.

Darüber hinaus werden E-Scooter in Deutschland dann auch eine Versicherungsplakette für Elektrokleinstfahrzeuge (ähnlich wie bei Mofas und kleinen Motorroller) in Form eines Aufklebers benötigen. Es besteht also eine eigene Versicherungspflicht für Elektroroller.

Helm wird empfohlen

In vielen Ländern Europas gelten allerdings keine speziellen Regeln für Lenker von E-Scootern. In Tschechien sind sie Fahrrädern gleichgestellt, in Slowenien und der Schweiz gelten die gleichen Regeln wie für E-Biker. Fahrradwege dürfen allerdings in allen befragten Ländern von E-Tretroller-Lenkern benutzt werden.

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In den Niederlanden und der Schweiz müssen die Lenker der E-Roller mindestens 16 Jahre alt sein. Mit Ausnahme Portugals besteht in keinem der befragten Länder Helmpflicht für Erwachsene. Der ÖAMTC rät zur eigenen Sicherheit trotzdem stets einen Helm zu tragen. Deckungssumme prüfen Häufig kommt die Frage auf, ob die eigene Haushaltsversicherung für Schäden mit dem E-Scooter haftet. Dazu sollte man in den Versicherungsbedingungen nachsehen, ob kein Ausschluss für E-Scooter besteht, rät man beim Mobilitätsclub: Sofern der Tretroller nicht als Kraftfahrzeug gilt, also solange die maximale Leistung unter 600 Watt liegt, sollten die Geräte in der Versicherung inkludiert sein.

Außerdem ist es ratsam, die Höhe der Deckungssumme zu prüfen. Generell gilt für Städtereisende: Für die Reise ins Ausland empfiehlt es sich, eine Kopie der entsprechenden Versicherungs-Passage sowie die Versicherungsdaten mitzunehmen – das sollte auch für die gemieteten Roller ausreichend sein.

Häufige Unfälle

E-Roller sind international polarisierende Gefährte, deren Konsequenzen für den innerstädtischen Verkehr noch nicht wirklich abzuschätzen sind. Konflikte sind so für den Radverkehr wohl programmiert. Sollen die E-Scooter ab Juni nur mehr Radwege benutzen dürfen, wird es noch enger auf diesen. Auch Pedelecs, elektrisch angetriebene Fahrräder sind vermehrt auf Radwegen zu finden. Scooter und Pedelecs scheinen dabei in der Unfallstatistik in einer Kategorie auf.

Eine eigene Fahrzeugkategorie für Elektro-Scooter gibt es derzeit noch nicht. Elektrisch betriebenen Scooter sind bei den Fahrrädern dabei, mit Muskelkraft betriebene gehören zu Spiel- und Sportgeräte. Eine neue Kategorie einzuführen, ist geplant, dafür gebe es schon erste Überlegungen, sagte Otmar Bruckner vom Verkehrsdienst des Innenministeriums. Umsetzbar ist dies aber frühestens 2020.

Festzuhalten ist trotzdem, dass bei Verkehrsunfällen im Vorjahr in Österreich 17 Menschen mit elektrisch betriebenen Fahrrädern oder Scootern getötet worden. Die meisten Toten (13) gab es in der Altersklasse ab 65 Jahren. Insgesamt gab es 1.025 Unfälle mit elektrisch betriebenen Geräten, 7.148 waren es bei mit reiner Muskelkraft betriebenen Fahrrädern.

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Der internationale Beratungsmulti Boston Consulting schätzt, dass der Verleihmarkt für batteriebetriebene Roller im Jahr 2025 weltweit auf 40 bis 50 Milliarden Dollar (35,7 bis 44,6 Milliarden Euro) wachsen wird. Dabei sollen Europa und die USA mit jeweils zwölf bis fünfzehn Milliarden Dollar an Potential in etwa gleichauf liegen. China allein dürfte auf ein Marktvolumen von 6,8 Milliarden Dollar kommen.

Die größten Unternehmen im E-Scooter-Verleihgeschäft sind durchwegs mit einem dicken Geldpolster im Rücken gestartet. Frontrunner Bird aus Santa Monica ist es beispielsweise gelungen, von Investoren 415 Millionen Dollar (372 Millionen Euro) einzusammeln; das Unternehmen Lime, das ursprünglich mit dem Verleih von Rädern gestartet ist, konnte sogar 765 Millionen Dollar lockermachen.

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Viele andere Start-ups haben zwischen 22 Millionen (Wind) und 82 Millionen Dollar (Voi) aufgebracht. Bezeichnend sind auch die Strecken, die von E-Scooter-Nutzern zurückgelegt werden. Typischerweise werden Elektroroller für Distanzen zwischen einem halben und vier Kilometern benützt, was etwa fünf bis 45 Gehminuten entspricht.

Pionier war das US-Unternehmen Bird, das 2017 im kalifornischen Santa Monica an den Start ging. Kurz darauf zeigte Lime in San Francisco auf. Beide haben inzwischen viele Ableger, auch in Wien. Neben den US-Firmen sind weitere E-Scooter-Verleiher in Wien aktiv: Tier, Wind und Flash (alle drei aus Berlin) und Hive, ein Joint Venture von Daimler und BMW. Voi aus Stockholm ist zwar auch schon für Wien gelistet, überlegt aber noch wann. Das einzig österreichische Unternehmen, Arolla aus Wels, hat ebenfalls Kurs auf Wien genommen.

Ab sich das lohnt, liegt in den Sternen. Ein E-Scooter auf dem Leihmarkt ist nach durchschnittlich drei Monaten Schrott. Das liegt daran, dass die Elektroroller ursprünglich für den Privatgebrauch konzipiert wurden, nicht für den Verleih. Hohe Beanspruchung sowie Vandalismus verkürze die Lebenszeit der Roller dramatisch und trotz vergleichsweise niedriger Beschaffungskosten dauere es in der Regel an die vier Monate, bis ein Verleiher mit dem E-Scooter Geld verdiene – wenn einer der Roller so lange auf der Straße überhaupt durchhalten würde.

Praktische Tipps

Für noch mehr Sicherheit:

  • Vor dem Start: Safety-Check des E-Scooters!
  • Vor der ersten Fahrt das Bremsen, Gleichgewicht halten und Ausweichen vor Hindernissen trainieren!
  • Radhelm tragen!
  • Sicherbarkeit erhöhen durch reflektierende Materialen (Kleidung, Accessoires)!
  • Geschwindigkeit immer dem Fußgänger- bzw. Radverkehr anpassen!
  • Besondere Vorsicht vor Bodenunebenheiten, bei Schienen und nassem Untergrund!
  • Beim Zufahren auf Kreuzungen das Tempo rechtzeitig reduzieren!
  • Den Vorrang anderer beachten: Die Verkehrstafeln „Vorrang geben“ oder „Halt“ gelten auch für E-Scooter – Schienenfahrzeuge und Einsatzfahrzeuge (z. B. Rettung) haben Vorrang.
  • Seitlichen Sicherheitsabstand zu parkenden Autos einhalten und auf Autotüren achten!
  • Niemals zu zweit am E-Scooter fahren!
  • Während der Fahrt Ablenkung durch Smartphones vermeiden.
  • Beim Fahren auf Kopfhörer verzichten!
  • Gegenstände nur im Rucksack oder in einer Umhängetasche transportieren!
  • Auf die anderen Verkehrsteilnehmenden achten und Rücksicht nehmen!
  • E-Scooter nur auf Flächen abstellen, die auch für das Abstellen von Fahrrädern vorgesehen sind!
  • Auch beim Abstellen Rücksicht nehmen auf Personen mit Beeinträchtigungen – Scooter nicht zur Stolperfalle werden lassen!

Zweirad-Service:

INFObox: Entgegen einem weltweiten Negativtrend bei der Unfallstatistik gibt es positive Nachrichten in diesem Bereich von Österreichs Straßen. Auf diesen hat es im Jahr 2018 weniger Verkehrsunfälle, Verletzte und Getötete gegeben. Die Zahl der Toten sank um 1,2 Prozent gegenüber 2017. Damit wurde das bisher geringste Ergebnis seit Einführung der Unfallstatistik im Jahr 1961 erreicht.Das Verkehrssicherheitsprogramm 2020 des BMVIT umfasst über 250 Einzelmaßnahmen für 17 Handlungsfelder und gliedert sich in infrastrukturelle sowie bewusstseinsbildende Maßnahmen im Rahmen ausgewählter Interventionsbereiche. Langfristiges Ziel ist es, tödliche und schwere Verletzungen im Straßenverkehr signifikant und nachhaltig zu senken.