Kategorie Innovation & Technologie - 13. April 2021

Kunststofftechnik: Simone Viola Radl ist FEMtech-Expertin des Monats

Simone Viola Radl ist die FEMtech-Expertin des Monats April. Die promovierte Salzburgerin arbeitet seit 2018 im Bereich Prozessentwicklung- und optimierung der Semperit AG, wo für Industrie und Medizin hochspezialisierte Produkte aus Kautschuk hergestellt werden.

Seit Studientagen hat sich bei Simone Viola Radl eine ausgeprägte Faszination für die Entwicklung neuer Materialien etabliert: sie reicht von patentierten smarten Materialien, die sie mit Kolleg:innen innerhalb der Arbeitsgruppen an der Uni und dem PCCL entwickelte, bis hin zur (Weiter-)Entwicklung der Kerntechnologien in der Gummiindustrie im aktuellen Job beim Traditionsunternehmen Semperit AG Holding.

© Semperit

„Im Bereich der Zentralen Verfahrensentwicklung arbeite ich als Prozessingenieurin im Team mit vier weiteren Kollegen mit dem Ziel, die Produktions- und Entwicklungsprozesse der unterschiedlichen Businesssegmente kontinuierlich zu optimieren.“ Dazu gehören Berechnungen nach der sogenannten Finite-Elemente-Methode und Prozesssimulationen, sowie die Entwicklung neuer Prüfmethoden.

„Ich bin Ansprechpartnerin für die Prozesse des Gummispritzgusses und der Vulkanisation, sowie für materialspezifische Fragestellungen innerhalb der Entwicklung unterschiedlicher Produktherstellprozesse. Sowohl die Versuche in der Produktion, als auch die Materialprüfungen an den Prüfmaschinen selbst und in Zusammenarbeit mit Kolleg:innen und Kund:innen sind hierbei wesentlich.“ Zum Arbeitsalltag gehöre auch der laufende Austausch, die Vernetzung und Kooperation mit externen Partner:innen aus wissenschaftlichen Institutionen.

INFObox: FEMtech ist eine Initiative des Förderprogramms Talente des Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK), welches seit 2005 Auszeichnungen vornimmt, um die Leistungen von Frauen im Forschungs- und Technologiebereich besser sichtbar zu machen.

Für Radl war relativ früh klar, dass „ich mein Studium in Richtung Naturwissenschaften und Technik, in der sich meine Begeisterung für Chemie, Materialwissenschaften und Mathematik wiederfinden und ausbauen lässt, ausrichten wollte“. Während der Masterarbeit entdeckte sie ihre Faszination zu intelligenten Materialkonzepten in der Chemie der Kunststoffe. Zum Zeitpunkt ihres Masterabschlusses erlebten diese Materialsysteme in der Grundlagenforschung gerade ihren Aufschwung und entwickelten sich entsprechend rasant.

© Semperit

In ihrer Doktorarbeit beschäftigte sie sich bereits mit Möglichkeiten, Kunststoffe durch äußere Einwirkung so zu verändern, dass die Herstellung von recycelbaren und selbstheilenden polymeren Werkstoffen möglich ist. Die von Radl in dieser Arbeit entwickelten Polymere konnten nicht nur durch ein verbessertes Recycling über gezieltes Lösen der Kunststoffe aus dem Verbund mit anderen Materialien – wie beispielsweise Glas, Carbon oder Kupfer – überzeugen, sondern darüber hinaus auch den Lebenszyklus von Kunststoff-Produkten verlängern.

Aus den daraus gewonnenen Erkenntnissen sind sogar zwei Patente hervorgegangen: Das erste Patent beschreibt die Derivatisierung und Funktion eines photostrukturierbaren, elektrisch leitfähigen Polymers auf Basis von Polyanilin, was etwa für den Einsatz in organischen Leuchtdioden interessant ist. Kunststoffe sind üblicherweise nicht-leitfähige Materialien. Mit dem neuartigen Polymer ist es mit Hilfe von Licht möglich, elektrisch leitfähige Strukturen in das Material zu schreiben.

„Im zweiten Patent ist ein Herstellverfahren eines lichtempfindlichen Monomers und das Monomer selbst beschrieben, entstanden in meinen Forschungsarbeiten zur Dissertation“, so Radl. Mit jenem Monomer können Kunststoffe gestaltet werden, die sich unter Einwirkung von UV-Licht abbauen und damit recycelbar sind. Wertvolle Rohstoffe, die in hochvernetzten Kunststoffverbunden wie Mikrochips eingesetzt werden, können so mit geringem Aufwand und energieeffizient voneinander getrennt und rückgewonnen werden.

Das FEMtech Interview mit Simone Viola Radl finden Sie dieses Mal hier:

»Was steht auf Ihrer Visitenkarte?
Dr. Simone Viola Radl
Central Process Development
Semperit Technische Produkte GmbH

Was braucht es Ihrer Meinung nach noch, damit mehr Mädchen und Frauen in Naturwissenschaft und Technik Fuß fassen?
Die Grundlage für die Entwicklung von Interessen wird sicher schon in der Kindheit gelegt und ist ein Zusammenspiel von elterlicher und pädagogischer Erziehung und sozialem Umfeld. Rollenklischees werden oft entgegengesetzt der intuitiven Bedürfnisse/Interessen des Kindes anerzogen und vermittelt. So entsteht für viele talentierte Mädchen und Frauen ein unüberbrückbares Hindernis oder auch gar kein Zugang, den Weg in Richtung Naturwissenschaft und Technik einzuschlagen.«

Weiterlesen.

Wordrap mit Simone Viola Radl

  • Womit ich als Kind am Liebsten gespielt habe:
    Es gab für mich nicht das eine Lieblingsspielzeug. Ich war ein besonders neugieriges Kind und wollte stets die mich umgebenden Dinge, die Funktion, deren Einzelteile und deren Ursprung erkunden und nachvollziehen. So war nichts sicher vor mir und wurde auseinander gebaut und zerpflückt: Audiokassetten wurden beispielsweise von mir abgerollt, um zu entdecken woher die Musik kommt und viele Geräte wurden auseinandergebaut, sowie auch deren Einzelteile nach bestimmten Mustern geordnet: Ähnlichkeit in Form oder Farbe. Vor allem aber habe ich es geliebt im Freien zu spielen: Ich drehte mit Ausdauer immer und immer wieder Steine um, um zu erkunden was sich jeweils darunter verbirgt und ob sich die Entdeckungen vom vorherigen Stein abheben. Ich buddelte Löcher, um Wurzeln und Erde zu untersuchen. Ich zerpflückte gerne Blumen und Blätter und war fasziniert davon, wie sie sich dadurch veränderten, und siebte unermüdlich den Sand in der Sandkiste, um meine Vorstellung von Ordnung herzustellen.
  • Dieses Studium würde ich jetzt wählen:
    Spontan beantwortet möchte ich die Erfahrungen und Erkenntnisse aus meiner technischen Ausbildung definitiv nicht missen wollen und würde mich in erster Linie vermutlich wieder für einen technischen, naturwissenschaftlichen Zweig entscheiden. Interaktionen mit Menschen, Persönlichkeits- und Gesellschaftsstrukturen und deren Dynamiken faszinieren mich auch grundlegend, so wäre die Wahl eines Studiums aus dem Fachbereich der Sozial- und Geisteswissenschaften ebenso naheliegend.
  • Mein Vorbild ist:
    Es gibt viele inspirierende und kluge Menschen, die eine Vorbildwirkung für mich haben. Müsste ich eine einzige Person nennen, ist es Albert Einstein. Da meine Eltern mir als Kind den Spitznamen „Einstein“ gegeben haben, hat mich seine Person und Persönlichkeit schon früh begleitet und fasziniert – sein bemerkenswerter und revolutionärer Werdegang als Physiker und Wissenschaftler mit seinen fundamental bedeutenden Theorien, vor allem aber auch sein Einsatz für Frieden und Völkerverständigung, beeindrucken mich. Generell machte sich der berühmte Wissenschaftler auch viele Gedanken über den Sinn des Lebens und den Menschen, mit welchen ich mich zusätzlich zu seiner leidenschaftlichen Neugierde identifizieren kann und selbst oft wiederfinde: Wissen muss phantasievoll und geistreich eingesetzt werden, um eine Lösung zu erhalten. Außerdem ist es wichtig, alles zu hinterfragen und sich seine kindliche Neugier stets beizubehalten. „Freude am Schauen und Begreifen ist die schönste Gabe der Natur.”
  • Was ich gerne erfinden würde:
    Eine Zeitreisemaschine, um Vergangenheit und Zukunft zu erkunden und zu erleben und um bemerkenswerte Personen persönlich zu treffen.
  • Wenn der Frauenanteil in der Technik 50 Prozent beträgt …
    … ist die Aufmerksamkeit/Sensibilität und das Verständnis für Ideen und Argumente in TechnikerInnenteams hoch. Die Erhöhung des Anteils an Diversität in Teams bringen umfassendere Problemdefinitionen, mehr Alternativen, bessere Entscheidungsfindung und bessere Kompromisse mit sich.
  • Wenn der Frauenanteil in Führungspositionen 50 Prozent beträgt …
    … schafft man ein ausgeglichenes MitarbeiterInnen-Engagement, sowie einen stärkeren Glauben an Projekte, Produkte und Dienstleistungen.
  • Was verbinden Sie mit Innovation:
    Innovation ist ausgehend von Ideen der Prozess für Transformation, Entwicklung und Verbesserung, damit ein Unternehmen langfristig am Markt bestehen kann. So individuell Unternehmen sind, so individuell sind auch die jeweiligen Innovationen. Die Grundlage für jede Innovation ist für mich die Vereinigung von Neugierde, Kreativität, Mut und Querdenken.
  • Warum ist Forschungsförderung in Österreich wichtig:
    Entwicklung ist auf allen Ebenen wichtig. Die Forschung ist unabdingbar und essentiell für jede Art der (Weiter-)Entwicklung. Durch die Forschungsförderung wird die fortlaufende Entwicklung in Wissenschaft und Wirtschaft monetär ermöglicht und unterstützt und schafft gleichzeitig die (inter)nationale Vernetzung von interdisziplinären Teams.
  • Meine Leseempfehlung lautet:
    Ich lese gerne Romanliteratur verfasst von den folgenden russischen Titanen des 19. Jahrhunderts: Nikolai Gogol Die toten Seelen & Lew Tolstoi Anna Karenina
Frauen in Forschung und Technologie: Mit der Initiative FEMtech fördert das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) Frauen in Forschung und Technologie. Das BMK unterstützt Frauen im Bereich Forschung und Entwicklung mit dem Ziel, Chancengleichheit in der industriellen und außeruniversitären Forschung zu schaffen.