Kategorie Klima- & Umweltschutz - 4. August 2020

Mehr Naturschutz: Dialog zur Biodiversitätsstrategie gestartet

Biodiversität ist absolut überlebenswichtig – nicht nur für Tiere und Pflanzen, sondern auch für die Wirtschaft. Der Deal muss daher lauten: Mehr Naturschutz. Unsere Wirtschaft wird zu großen Teilen von der Natur getragen, die Hälfte des weltweiten BIP (40 Billionen Euro) steht in Abhängigkeit zur Natur. Sie liefert uns Nahrung, Arzneimittel oder Baustoffe. Biologische Vielfalt und intakte Ökosysteme bieten uns Erholung und sind damit auch wichtig für unser Wohlbefinden und unsere Gesundheit. Sie sorgen für saubere Luft und sauberes Wasser und sind Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel. Die Verwandlung von Abfällen in neue Rohstoffe, die Bestäubung, Düngung von Nutzpflanzen – das und vieles mehr wäre ohne Biodiversität schlicht undenkbar.

Dem entgegen steht ein weltweiter und äußerst verhängnisvoller Artenschwund. Dessen Ausmaß ist in der Tat erschreckend: Weltweit droht eine Million der acht Millionen Tier- und Pflanzenarten zu verschwinden, wie ein Bericht des Weltbiodiversitätsrats IPBES aus dem vergangenen Jahr prognostiziert. Österreich, als eines der artenreichsten Länder Mitteleuropas, ist – wie auch vom Klimawandel – davon besonders betroffen.

Die Blauracke ist in Österreich so gut wie ausgestorben. © APA/Michael Tiefenbach

Die Zeit drängt also: Meldungen über wilde Tiere, die weltweit die Gelegenheit nutzten, ihren Lebensraum während der coronabedingten Ausgangsbeschränkungen zurückzuholen, sind nichts weiter als eine Momentaufnahme eines Ausnahmezustandes und können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Natur auch in der Coronakrise weiterhin großer Zerstörung und Ausbeutung ausgesetzt ist.

Nicht zuletzt deshalb soll eine neue Biodiversitäts-Strategie 2030 für Österreich Antworten auf diese gewaltige Herausforderungen geben. Über die Landesgrenzen hinaus hat Österreich als Mitglied der Europäischen Union sowie Vertragspartei des Übereinkommens über die biologische Vielfalt aber auch eine Verantwortung für den Erhalt der globalen Artenvielfalt. Die Situation zur biologischen Vielfalt in Österreich ist mit jener in Europa sowie auch den globalen Entwicklungen vergleichbar. Trotz vieler Bemühungen im Natur- und Artenschutz und Erfolgen in einzelnen Bereichen konnten weitere Verluste der Biodiversität nicht gestoppt werden. Alle sechs Jahre müssen alle EU-Mitgliedsstaaten über den Erhaltungszustand sämtlicher Lebensräume und Arten von europäischem Interesse im gesamten Staatsgebiet in einem Bericht – dem sogenannten Artikel 17-Bericht – an die EU-Kommission erstatten.

Im vergangenen Jahr war ein solcher Bericht fällig, der österreichische legt dar, dass 18 Prozent der Lebensraumtypen und 14 Prozent der Arten des Landes in einem günstigen Erhaltungszustand sind, im Gegensatz dazu jedoch 44 Prozent der Lebensraumtypen und 34 Prozent der Art-Bewertungen einen ungünstig-schlechten Erhaltungszustand aufweisen. Die Ursachen dafür sind vielschichtig, deren Kenntnisse aber erst Voraussetzung für einen wirksamen Biodiversitätsschutz.

Das letzte Vorkommen des Ortolans liegt in einem Schutzgebiet des Tiroler Inntales. 2005 wurden dort noch 26 Reviere gezählt. Bis in die 1960er Jahre besiedelte diese Art auch noch das Weinviertel mit über 200 Paaren, das Leithagebirge oder auch das Lienzer Becken. © BirdLife/Michael Dvorak

Was sind Ursachen und Treiber dieser Umstände für Biodiversitätsverluste? Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) hat fünf Hauptgründe für den globalen Verlust der biologischen Vielfalt herausgestrichen: Veränderte Land- und Meeresnutzung, direkte Ressourcenentnahme, Klimawandel, Schadstoffeinträge und gebietsfremde „invasive“ Arten. Diese fünf Hauptgründe wurden von IPBES auch für den Biodiversitätsverlust in Westeuropa identifiziert. Für Österreich wurden in einer Untersuchung des Umweltbundesamtes hydrologische Veränderungen, Landwirtschaft (z. B. Nutzungsaufgabe und -intensivierung) und Forstwirtschaft (z. B. Totholzentnahme) als Hauptursachen genannt. Wie soll es damit aber nun weitergehen?

Biodiversitätsdialog gestartet

Bereits 2019 wurde vom BMK gemeinsam mit dem Umweltbundesamt mit dem Biodiversitätsdialog 2030 ein Prozess zur Entwicklung einer Biodiversitäts-Strategie für Österreich gestartet. Nach Workshops und Konsultationen ist im nächsten Schritt die Erarbeitung eines ersten Entwurfs der neuen österreichischen Biodiversitäts-Strategie geplant. Die Umsetzung der Strategie soll zu einem gemeinsamen Kraftakt aller für Biodiversität in Österreich zuständigen Akteure werden. Der Biodiversitätsdialog bindet nun abermals alle Interessierten in den Gestaltungsprozess ein.

https://www.facebook.com/Gewessler/posts/169685474611893

 

Das Thema Biodiversität und die damit verbundenen Herausforderungen sollen somit in die breite Öffentlichkeit getragen und das Bewusstsein dazu geschaffen und gestärkt werden. Die öffentliche Konsultation ist eine Gelegenheit, sich aktiv im Prozess zur Entwicklung der Biodiversitäts-Strategie 2030 für Österreich einzubringen. Bis zum 27. September 2020 gibt es nun die Möglichkeit dazu. Zudem wird allen Teilnehmenden der Expert*innen-Workshops, die im Vorfeld stattfanden, nochmals Gelegenheit gegeben, sich zu allen Vorschlägen zu äußern, um so einen möglichst breite Grundlage für die Entwicklung des ersten Entwurfs der Biodiversitäts-Strategie 2030 zu bekommen.

Eckpunkte einer möglichen Biodiversitätsstrategie Für das gesamte Bundesgebiet werden folgende Ziele für 2030 vorgeschlagen:



  • Mindestens 30 % der Landesfläche stehen unter Schutz, Schutzgebiets-Netzwerk ist repräsentativ und ökologisch gut vernetzt

  • Mindestens 10 % der Landesfläche (d. h. ein Drittel der geschützten Gebiete) stehen unter strengem Schutz

  • Alle prioritär eingestuften, degradierten Ökosysteme sind wieder hergestellt

  • Reduktion der täglichen Flächeninanspruchnahme auf weniger als 2,5 Hektar Biodiversitätsschädigende Anreize und Subventionen sind abgebaut

„Es ist unsere dringende und vor allem gemeinsame Aufgabe als Gesellschaft, diese Vielfalt in all ihren Ausprägungen zu erhalten und den Gefahren, denen sie ausgesetzt ist, mit effektiven Maßnahmen zu begegnen“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler. „Wir alle können in unserem Umfeld und unserem täglichen Leben beitragen, die Vielfalt zu erhalten. Die Vielfalt zu erhalten – das schulden wir uns nicht nur selbst, sondern auch unseren Kindern und allen künftigen Generationen. Aus diesem Grund wollen wir mit der Biodiversitätsstrategie die Rahmenbedingungen für umfassende Artenvielfalt schaffen.“ Das BMK lädt daher alle Menschen ein, sich aktiv an der Konsultation zur Entwicklung einer Biodiversitäts-Strategie 2030 zu beteiligen. Kommentare und Anmerkungen zu den spezifischen Zielen können sowohl über eine Konsultationsunterlage als auch über einen Fragebogen eingebracht werden.

Biodiversitätsfonds zur Unterstützung

Als Mitglied der Europäischen Union sowie Vertragspartei internationaler Übereinkommen hat Österreich EU-Vorgaben sowie internationale Beschlüsse im Bereich der Biodiversität umzusetzen.  Dazu zählen insbesondere das Übereinkommen über die biologische Vielfalt und die neuen  globalen post-2020 Biodiversitäts-Ziele, die Alpenkonvention sowie weitere EU-Vorgaben und Initiativen des Europäischen Green Deals. Um die Ökosysteme Europas auf den Weg einer Erholung zu bringen, hat die EU darin eine ambitionierte Biodiversitätsstrategie formuliert. Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 30 Prozent der europäischen Land- und Meeresflächen geschützt sein, ein Drittel davon streng. Im Programm dieser wird auch ein strengerer Schutz der verbleibenden Primär- und Urwälder in der EU sowie ein neuer Rechtsrahmen für Renaturierung festgeschrieben, zudem soll der Einsatz chemischer Pestizide um die Hälfte gemindert sowie auf einem Viertel der Agrar-Flächen ökologischer Landbau betrieben werden.

Die österreichische Bundesregierung plant die Schaffung eines Biodiversitätsfonds für die Umsetzung der nun vorankommenden Biodiversitätsstrategie. Dieser Fonds soll jene Schutzmaßnahmen zugunsten der Artenvielfalt finanzieren, die bislang nicht von der Gemeinsamen Agrarpolitik abgedeckt werden. Das BMK als Umwelt- und Klimaschutzministerium ist hier federführend und hat sich zur Förderung des Naturschutzes ebenfalls verpflichtet, neue Nationalparks und Wildnisgebiete einzurichten. Zudem wird das BMK den sechs österreichischen Nationalparks 1,5 Millionen Euro zusätzlich zur Verfügung stellen. Mit dem Geld sollen finanzielle Folgen der Coronapandemie abgefangen und Nationalparkprojekte im Sinne der Artenvielfalt gefördert werden.

Dass sich solche Schutzmaßnahmen nachhaltig auszahlen zeigen auch aktuelle Studien: Ein mehr als hundertköpfiges Team von Ökonomen und Wissenschaftlerinnen um den Biologen Anthony Waldron von der Cambridge University hat zum ersten Mal eine umfassende Kosten-Nutzen-Analyse des europäischen 30-Prozent-Ziels vorgelegt. Im Ergebnis bringt jeder investierte Euro ganze fünf Euro Ertrag. Naturschutz kann also hohe Einnahmen generieren und ist gleichzeitig eine Versicherung gegen die Risiken der Klimakrise, indem er die Widerstandsfähigkeit von Ökosystemen steigert. Eigentlich eine einfache Rechnung, die im politischen Diskurs bisher aber vergleichsweise wenig prominent aufscheint. Nicht zu vergessen außerdem: Die anhaltende Umweltzerstörung begünstigt Pandemien. Auch davor warnen Umweltforschende schon lange. Dort wo Menschen in den Lebensraum von wilden Tieren vordringen, steigt das Risiko für Zoonosen, den Übersprung von Krankheitserreger von Tieren auf den Menschen, erheblich. So kann sich Naturschutz daher auch als beste Prophylaxe gegen Seuchen erweisen.

Zwei Klimaschutzmilliarden für Österreich