Kategorie Klima- & Umweltschutz - 1. September 2021

Priorisierungs-Bericht: Ramponierte Lebensräume sinnvoll restaurieren

Vom Neusiedlersee bis in die Alpen: Expert:innen der Universität Wien, des Umweltbundesamtes und des Bundesforschungszentrums für Wald untersuchten in einer Studie, welche Wälder, Felder, Grasländer, Weinbaugebiete, Moore und Auen in Österreich am sinnvollsten restauriert werden können. Die Instandsetzungsmaßnahmen würden 10,7 Milliarden Euro kosten und sollten bis 2050 abgeschlossen sein.

Die EU arbeitet bis Ende 2021 einen Aktionsplan (Nature Restoration Action Plan) aus, der rechtlich bindende Ziele zur Ökosystemrestauration festlegt. Bis 2050 sollen die Mitgliedsstaaten 15 Prozent der ramponierten Lebensräume restaurieren. Österreich bereitet sich entsprechend vor: Der vom BMK in Auftrag gegebene Priorisierungs-Bericht fließt in die Entwicklung der nationalen Biodiversitätsstrategie ein.

Etwa die Hälfte der Fläche Österreichs ist von Wald bedeckt. In diesen Gebieten fanden die Forscher:innen das beste Restaurierungspotenzial in Teilen des Wald- und Weinviertels in Niederösterreich, des Mühlviertels in Oberösterreich und in der östlichen Steiermark. Dort sollte der Anteil an Totholz und alten, mächtigen Bäumen (Veteranenbäumen) erhöht werden, erklärte Florian Danzinger vom Department für Botanik und Biodiversitätsforschung der Uni Wien. Gebietsfremde Arten wären zu entfernen und eine vielfältige, standorttypische Baumartenzusammensetzung zu pflanzen: „Also sich auf teils weniger schnellwüchsige, aber für die heimische Artenwelt wertvolle Bäume besinnen, und manche davon stehen lassen, auch wenn sie schon lange hiebreif sind“, so Danzinger. Dafür müssten die Waldbewirtschafter:innen freilich finanziell belohnt werden.

„Für die grünlandgeprägten Kulturlandschaftstypen wurden vor allem das Waldviertel (NÖ), das Inn- und Hausruckviertel (OÖ) und der Flachgau (Salzburg) als Schwerpunktregionen identifiziert“, so die Forscher:innen in einer Aussendung der Uni Wien. Beim Ackerbau priorisierten sie das westliche Wein- und das östliche Waldviertel, die Thermenlinie und das Marchfeld in Niederösterreich, sowie im Burgenland die Regionen Parndorfer Platte und Neusiedlersee-Seewinkel. Beim Weinbau sollten sich die Anstrengungen auf Teile des Weinviertels und die Region Neusiedlersee-Seewinkel konzentrieren.

Mehr Hecken und Blühstreifen

In den landwirtschaftlich genutzten Grünflächen, Feldern, Weingärten und Obstplantagen sollten mehr Zwischenstrukturen geschaffen werden, erklärt Danzinger. Die teils riesigen Flächen würden enorm von Hecken, Baumzeilen und Blühstreifen profitieren. „Das ist auch wichtig für die Klimawandelfitness, weil sie die Winderosion und Abspülung durch Starkregen vermindern und im Winter den Schneefang gewährleisten“, betont der Experte. Dieser Nutzen würde aber nicht die Zusatzkosten und den Verlust an Ernteflächen aufwiegen. Deshalb bräuchte es zusätzliche Förderungen. Bei den Obstplantagen sollte durch finanzielle Anreize erreicht werden, dass manche weniger intensiv genutzt werden und die Betreiber:innen auf Hagelnetze und Ähnliches verzichten. Durch Strukturmaßnahmen und extensive Bewirtschaftung würde in all diesen Gebieten auch der „landschaftsästhetische Wert“ steigen.

Bei den Auen und Mooren verortet die Studie Restaurierungsbedarf im Osten Österreichs, zum Beispiel beim Schilfgürtel des Neusiedlersees, dessen Verlandungsmoor mit einer Fläche von 9.600 Hektar zu den größten europäischen Schilfgebieten zählt, aber auch in den Alpen. Die alpinen Moore sollte man von vorhandenen Drainagen befreien und alle paar Meter „Spundwände“ aus Holz einziehen, die den Wasserabfluss verlangsamen. Dadurch bilden sich kleine, wassergefüllte Staustufen, wo Torfmoos und andere Sumpfpflanzen gedeihen. „Bei den Auen ist es vor allem wichtig, wieder eine Fließwasserdynamik zu ermöglichen“, so Danzinger. Altarme sollten wieder an die Hauptgewässer angeschlossen und mit einer ausreichenden Wassermenge dotiert werden.

© APA / Herbert P. Oczeret

Vorteile für den Natur- und Klimaschutz

Die Forscher:innen sortierten die verschiedenen österreichischen Ökosysteme und Landschaften in vier „Degradationsstufen“. „Es war eine große methodische Herausforderung, das Ganze einheitlich darzustellen, weil je nach den Ökosystemen ganz unterschiedliche Daten zur Verfügung gestanden sind“, sagt David Paternoster vom Umweltbundesamt. Dennoch konnten sie eine datenbasierte Einschätzung abliefern. „In anderen europäischen Ländern musste man stärker auf eine auf Experteneinschätzung basierte Darstellung setzen, das wollten und konnten wir in Österreich vermeiden“.

Nachdem sie den Zustand der jeweiligen Ökosysteme eingeschätzt hatten, suchten die Forscher:innen mögliche Zusatznutzen bei einer Restauration. „Zum Beispiel, dass sie innerhalb von Schutzgebieten liegen oder ein Netzwerk von Lebensraumkorridoren erweitern“, sagte Danzinger. Manche der als sehr schlecht eingestuften Landschaften sind deshalb nicht in der Priorisierungsliste, weil es schwer wäre, sie instand zu setzen, und es keinen Mitnahmeeffekt gäbe. Dafür sind andere Gebiete in den 15 Prozent der für den jeweiligen Ökosystemtyp priorisierten Gebiete, weil ihre Instandsetzung zusätzliche Vorteile für den Natur- und Klimaschutz bringt.

Service: Endbericht der Studie „Strategischer Rahmen für eine Priorisierung zur Wiederherstellung von Ökosystemen auf nationalem und subnationalem Niveau“