Kategorie Innovation & Technologie - 20. Dezember 2015

Neues Tunnel-Know-how aus dem Erzberg

Wien – Mariahilf, Thekla, Ignazi: Viele der über 40 Etagen des Erzbergs in der Steiermark tragen Namen von Heiligen und Bergleuten. Jene, die auf 1085 Meter Seehöhe liegt, heißt Dreikönig. Hier durchläuft der Pressler-Stollen den ganzen Berg – ein Überbleibsel aus der Zeit, als noch Untertagebau betrieben wurde. Hier ist man außerhalb des aktiven Bergbaugeländes. Dennoch soll in der Dreikönigsetage schon bald wieder Hochbetrieb herrschen. Bergbau- und Geowissenschafter, Tunnelbauer und Feuerwehrleute, Studenten und andere Auszubildende werden unter Tage gehen. Denn hier soll das „Zentrum im Berg“, eine Forschungseinrichtung, abgestimmt auf die Herausforderungen des modernen Straßen- und Eisenbahntunnelbaus sowie des Kraftwerkbaus, entstehen.

„Den alten Pressler-Stollen werden wir verwenden, um Tunnelbau zu lernen“, erklärt Robert Galler vom Lehrstuhl für Subsurface Engineering der Montanuniversität Leoben. In dem Stollen treffen verschiedene Bergbauepochen zusammen. Es gibt Abschnitte, die mit Steinen, mit Ortbetonschale und mit Spritzbeton ausgebaut sind. Das macht ihn für Galler zur „idealen Trainingsstrecke“ für den Ausbau bestehender Straßen- und Eisenbahntunnel.

Neben der Adaptierung und Erweiterung des Stollens werden in seinem Umkreis künftig aber noch weitere Röhren in den Erzberg getrieben: Zwei parallel verlaufende Eisenbahntunnel ähnlich jenen, die am Semmering oder am Brenner gebaut werden, und zwei ebensolche Straßentunnel, vergleichbar mit dem Gleinalmtunnel; Sie werden jeweils über 400 Meter lang sein und über entsprechende Querschläge, also Verbindungswege zwischen den parallelen Röhren, verfügen.

Die gesamte Anlage dient der Entwicklung und Erprobung neuer Technologien und Materialien, der Schulung von Studenten, Einsatzkräften, Instandhaltern und Verkehrsteilnehmern. Neben der Montanuni finanzieren das Wissenschaftsministerium, das Verkehrsministerium und das Land Steiermark das Projekt.

Von Lüftung bis Erdrutsch

„In den Straßentunneln wollen wir verschiedene Lüftungssysteme optimieren“, gibt Galler ein Beispiel einer Forschungsarbeit gemeinsam mit der TU Graz. Da gibt es einerseits Querlüftungen, bei denen Luft über eine Zwischendecke eingeblasen und abgesaugt wird, andererseits Längslüftungen, die auf dem Einsatz von Strahlventilatoren basieren. Beleuchtung, Mess- und Analysetechniken und Leitsysteme sollen weiterentwickelt werden. Die Bandbreite der Projekte reicht von Sicherheitsforschung bis zu Klimawandeleinflüssen. Schon beim Bau der Röhren sollen verschiedene Vortriebstechniken – Sprengen, Baggern, Fräsen – erprobt werden. Und selbst Obertage wird geforscht: Messsysteme zur Früherkennung von Hangrutschungen, die eine stetige Gefahr für die Verkehrsinfrastruktur darstellen, sollen etabliert werden.

Ein Fokus liegt auf verbessertem Einsatz von Baumaterialien. Daten kamen bisher vor allem von der Sanierung bestehender Bauten. „Viele Tunnel in Österreich – Katschberg, Tauerntunnel, Bosruck – bekamen zweite Röhren, wie es ein modernes Sicherheitskonzept erfordert“, erklärt Galler. „Beim Durchbrechen von der neuen in die alte Röhre bekamen wir Gelegenheit, die Komponenten der Tunnelaußenschale genauer zu untersuchen.“ Das so erworbene Wissen gibt nun die Basis für neue Überlegungen. „Um Materialversuche im Eins-zu-eins-Maßstab in einer echter Tunnelschale machen zu können, brauchen wir das Zentrum am Berg.“

Schulung für Tunnelnutzer

Spätestens der Tauerntunnelbrand 1999 setzte Brandschutz und Rettungseinsätze in den Fokus. Feuerwehr und Sanitäter sollen am Erzberg unter Realbedingungen üben, und auch einfache Verkehrsteilnehmer werden hier zur Selbstrettung angeleitet: Was ist zu tun, wenn ein Zug im künftigen Semmeringtunnel hängenbleibt? Wie öffne ich die Querschlagstür in den Paralleltunnel? Neben derartigen Trainings und universitärer Lehre kann sich Galler auch die Einführung eines Tunnelbau-Lehrberufs vorstellen. „Trotz Österreichs Tradition in dem Bereich gibt es keine Ausbildung zum Mineur.“

Der Untertagebau am Erzberg endete im Jahr 1986. Spätestens mit der Fertigstellung des Forschungszentrums im Jahr 2019 wird auch im Inneren des Berges wieder mehr los sein – ein neues Kapitel in der 1300 Jahre währenden Bergbaugeschichte am „steirischen Brotlaib“. (Alois Pumhösel, 20.12.2015)


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Research@ZaB – Zentrum am Berg