Kategorie Innovation & Technologie - 21. Februar 2018
Mobilität in der Stadt & auf dem Land. Österreich unterwegs Teil 3
In einer siebenteiligen Serie beleuchten wir das Mobilitätsverhalten der Österreicherinnen und Österreicher. Die Datengrundlage liefert die österreichweiten Mobilitätserhebung „Österreich unterwegs 2013/2014“. Wie sind wir unterwegs? Und was hat sich in den letzten 20 Jahren verändert? Die vierköpfige Familie Flink begleitet uns durch diese Serie.
Stadt – Land: Wie unterscheidet sich das Mobilitätsverhalten der urbanen zur ländlichen Bevölkerung?
Lisa Flink, seit Kurzem Studentin, ist nach ihrem Umzug ein echter „Stadtmensch“ geworden. An den Wochenenden zieht es sie aber regelmäßig zurück zu ihrer Familie, die in einer Kleinstadt lebt. Ihre Großeltern sind auf dem Land in einem noch kleineren Ort zu Hause. „Peripherer Bezirk“ heißt das im Fachjargon – das hat sie sich von einer Gruppenübung an der Fachhochschule zum Thema „Die ÖsterreicherInnen werden immer mobiler?“ gemerkt.
Dieses Wochenende besucht Lisa ihre Großeltern. Mit der Straßenbahn fährt sie zum Bahnhof, von dort mit dem Cityjet in die Kleinstadt. Von dort aus wird es schon sehr viel schwieriger voranzukommen Da sie abends unterwegs ist, sind die Regionalbusse nicht mehr im dichten Taktverkehr unterwegs.Sie überlegt: „Erwisch ich den Bus ins Dorf noch, soll ich auf den nächsten warten oder soll ich mich von meinem Opa abholen lassen?“
Lisas Mobilitätsmix und ihre Wahl ist typisch für Österreich. Je städtischer man wohnt, desto öfter nutzt man die Öffentlichen Verkehrsmittel – siehe Grafik. Während in Wien – bei vergleichsweise sehr guter Öffi-Anbindung – 38 % der Einwohner mit Öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind liegt die Zahl jener Nutzer in peripheren Bezirken bei lediglich 13 %. Auch der Anteil der Fußwege ist in Wien aufgrund der geringeren Entfernungen mit 25 % wesentlich höher als in peripheren Bezirken mit 15 %.
Genau umgekehrt ist der Anteil der -LenkerInnen im motorisierten Individualverkehr (MIV): in der Stadt liegt er bei 25 %, im peripheren Gegenden bei 56 %. Vielfach beeinflusst die Frage nach einer adäquaten Parkmöglichkeit die Entscheidung, mit dem Auto zu fahren oder nach Alternativen zu suchen. Der Radverkehrsanteil ist in Großstädten (ohne Wien) mit 13 % am höchsten, da in ländlicher Umgebung die Wege teilweise zu weit ausfallen, aber auch die nötige Infrastruktur fehlt. Vor allem in Wien steht ein gut ausgebautes Öffi-Netz in Konkurrenz zum Radverkehr.
Opa holt Lisa mit dem Taxi ab
Schlussendlich entscheidet sich Lisa für das Opa-Taxi. Ihr Großvater ist im Ort einer der Initiatoren des neuen „Mikro-ÖV-Systems“, das erst kürzlich eingeführt wurde, um den Nahverkehr im ländlichen Raum zu ergänzen. Opa Flink ist sichtlich stolz auf „sein“ Projekt“. Bis ins letzte Detail zählt er ihr alle Daten und Fakten rund um Mikro-ÖV-Systeme auf: Diese Mobilitätslösung in Form von Sammeltaxis, bei dem jeder anrufen und sich die letzte Meile – beispielsweise vom Bahnhof nach Hause – bringen lassen kann, wird auch von älteren Personen gerne für Arztfahrten oder Einkäufe gerufen. Diese Personengruppe bleibt somit länger selbstständig und mobil.
Die geringen Kosten von einem Euro pro Fahrt für die Fahrgäste sind nur deshalb möglich, weil es ehrenamtliche Fahrer wie Lisas Opa gibt. „Unser Verein hat mittlerweile bereits über 20 Mitglieder“, macht Opa Werbung in eigener Sache. Zudem fährt er nun ein Elektroauto, welches gleichzeitig hilft, Kosten einzusparen und ein weiterer Baustein in der Mobilität der Zukunft ist.
Als eines der Argumente für das Mikro-ÖV-System streicht er die geringen Kosten und den deutlich höheren Komfort gegenüber einer oder mehreren herkömmlichen Buslinien hervor. 128 Millionen Personenkilometer werden an einem durchschnittlichen Werktag von Menschen, die in peripheren Bezirken zu Hause sind, zurückgelegt. Das entspricht 45 % der Gesamtverkehrsleistung von ganz Österreich. Hier den Anteil von 63 % MIV-LenkerInnen und 15 % MIV-MitfahrerInnen zu senken bzw. den ÖV-Anteil zu halten oder zu erhöhen, ist ein wesentliches Anliegen der Vereinsmitglieder.
Im Zuge der Einführung des Mikro-ÖV-Systems wurde von einem Verkehrsplaner auch evaluiert, wie sich das Mobilitätsverhalten der EinwohnerInnen in Opa Flinks Gemeinde verändert hat, ebenso wie jenes im Bezirk und in Österreich gesamt. Im Ortskern gibt es keinen Greissler mehr, eingekauft wird im Einkaufs- und Fachmarktzentrum am Ortsrand der nächstgrößeren Gemeinde. Der „Speckgürtel“ der naheliegenden Stadt dehnt sich immer mehr aus und immer mehr junge Leute ziehen in die Städte und deren Umland, den sogenannten suburbanen Bereich. Gleichzeitig nehmen auch immer mehr Frauen wieder am Erwerbsleben teil – ein zweites Auto ist da oft notwendig. Die zentralen Bezirke, insbesondere der suburbane Bereich, hatten in den vergangenen 20 Jahren ein Bevölkerungswachstum von fast 20 %, während die peripheren Bezirke nur um rund 4 % wuchsen. In Summe bedeutet dieses Bevölkerungswachstum im suburbanen Umland auf jeden Fall einen deutlichen Anstieg der Verkehrsleistung. Ein Quantensprung in der Informationstechnologie, wie zum Beispiel beim Online-Shopping und Tele-Working, trug ebenfalls österreichweit zu einem veränderten Mobilitätsverhalten in den letzten beiden Jahrzehnten bei. „Mit dem Mikro-ÖV-System wollen wir den ländlichen Raum fördern und auch weniger mobilen Personen ein attraktives Angebot bieten, denn es spart Kosten und erfüllt optimal die Mobilitätsbedürfnisse,“ meint Opa Flink abschließend.
Lisa freut sich mit ihrem Opa. Und sie hat ein gutes Gewissen, dass sie nun erstmals mit einem Auto ganz elektrisch unterwegs war.
Wussten Sie, dass…
…sich Personen in Wien oder in den Großstädten deutlich mehr im Umweltverbund bewegen, als Personen, die in peripheren Lagen wohnen.
…die Tagesweglängen deutlich zunehmen, je ländlicher ein Bezirk ist. In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben die durchschnittlichen Tagesweglängen insbesondere in Wien und in ländlichen Bezirken zugenommen.
…die Verkehrsleistung, also die Anzahl der Wege mal der Weglänge, um durchschnittlich 33 % in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist. Folgende geänderte Rahmenbedingungen bzw. Raumentwicklungen tragen dazu bei: Zersiedelung, Zunahme des „Speckgürtels“, allgemeines Bevölkerungswachtum (vor allem in Wien um 15 % und im „Speckgürtel“ der Städte), Einkaufszentren am Ortsrand und Entleerung der Ortskerne, Quantensprung der Informationstechnologie (Online-Shopping, Tele-Working), österreichweite Einführung der Verkehrsverbünde, Infrastrukturausbau für Schiene, Straße, Rad.
…betrachtet man die Verkehrsleistung nach Raumtypen fällt die Dominanz des MIV (motorisierten Individualverkehrs) noch mehr auf als in der obigen Grafik zum Modal Split nach Raumtypen. Nur Wien hat in Bezug auf den Umweltverbund deutlich bessere Werte als Restösterreich.