Kategorie Klima- & Umweltschutz - 9. August 2021

Weltklimabericht: Kritische Schwelle der Erderwärmung könnte schon 2030 überschritten werden

Bereits in neun Jahren könnte der Anstieg der globalen Mitteltemperatur 1,5 Grad überschritten werden, prognostiziert der Weltklimarat & warnt gleichzeitig immer verheerenderen Extremwetterereignissen. Der Trend ließe sich nur verlangsamen, wenn sofort gehandelt würde.

Es ist die Inventur der Klimaforschung und ihr Ergebnis fällt erschütternd aus: alle sechs Jahre werten Forscherinnen und Forscher aus der ganzen Welt die wissenschaftlich relevanten Studien zum Klimawandel aus. In dem an diesem Montag veröffentlichten ersten Teil des sechsten Sachstandsberichts hat der UN-Weltklimarat erneut eine Prognose für die Zukunft abgegeben – sie ist präziser als die vorherige und hält düstere Nachrichten parat.

Die Erde wird sich bei der derzeitigen Entwicklung bereits gegen 2030 um 1,5 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erwärmen und damit zehn Jahre früher als 2018 prognostiziert. Dies geht aus dem am Montag veröffentlichten Bericht des Weltklimarats IPCC hervor. Das Pariser Klimaabkommen sieht vor, die Erderwärmung auf möglichst 1,5 Grad, mindestens aber deutlich unter zwei Grad Celsius zu begrenzen.

„Wir alle sind bereits heute von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen. Mit immer häufiger und intensiver auftretenden Unwetterereignissen bei uns in Österreich, in Europa und weltweit wird klar: Wir müssen jetzt handeln – es braucht engagierte Klimaschutzpolitik“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zu den IPCC-Ergebnissen.

 

Einige Auswirkungen der Erderwärmung wie der Anstieg der Meeresspiegel und das Schmelzen der Gletscher sind laut Weltklimarat IPCC bereits heute unumkehrbar. Selbst bei einer drastischen Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen würden die Meeresspiegel weiter ansteigen und für tausende Jahre erhöht bleiben, heißt es in dem am Montag veröffentlichten Sachstandsbericht des IPCC. Die Meeresspiegel könnten demnach bis zum Jahr 2100 um bis zu einen Meter steigen.

„Die Glocken tönen ohrenbetäubend. Sie müssen das Ende von Kohle und anderen fossilen Brennstoffen einläuten, bevor diese unsere Erde zerstören“, äußerte sich UN-Generalsekretär Antonio Guterres, der zugleich die „Alarmstufe Rot“ ausrief.

Der Bericht des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) ist der erste seit acht Jahren. Er fasst im Auftrag der knapp 200 UN-Staaten die wissenschaftliche Ergebnisse der vergangenen Jahre zusammen. 2022 soll er noch durch zwei weitere Kapitel ergänzt werden. Die Fakten sind alarmierend: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass Episoden mit Starkniederschlägen in den meisten Regionen mit einer weiteren Klimaerwärmung intensiver und häufiger werden“, heißt es. Belegt ist auch, dass der Meeresspiegel weiter ansteigt und das Eis weiter schmilzt. „Sehr wahrscheinlich“ heißt: mit 90 bis 100-prozentiger Sicherheit.

Selbst, wenn es gelingen sollte, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen, dürfte der Meeresspiegel Ende des Jahrhunderts um bis zu 62 Zentimeter höher sein als 1995-2014. Klimaneutralität heißt, dass nur noch höchstens so viel Treibhausgas ausgestoßen wird wie Senken aufnehmen können. „In der Arktis sind Dreiviertel des Meereisvolumens im Sommer schon abgeschmolzen“, sagte Mitautor Dirk Notz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. „Wir werden es vermutlich nicht mehr verhindern können, dass das Nordpolarmeer bis 2050 im Sommer zumindest in einzelnen Jahre weitgehend eisfrei sein wird.“

Der Weltklimarat beleuchtete die physikalischen Grundlagen zuletzt 2013. Seitdem hätten sich Unsicherheiten in den Klimamodellen deutlich reduziert. Anders als damals stellt die Wissenschaft jetzt klar fest: Wenn die Treibhausgas-Emissionen nicht sehr schnell heruntergefahren werden, wird das Ziel, die Erwärmung auf unter zwei Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen, scheitern. Zudem könnten mehr Klimaveränderungen direkt auf den Einfluss des Menschen zurückgeführt werden, sagte Mitautorin Veronika Eyring von der Universität Bremen.

„Es ist zweifelsfrei, dass der menschliche Einfluss die Atmosphäre, den Ozean und das Land aufgeheizt hat“, heißt es in dem Bericht. „Menschlicher Einfluss hat das Klima so aufgeheizt, wie es seit mindestens 2000 Jahren nicht mehr vorgekommen ist. (…) 2019 war die CO2-Konzentration in der Atmosphäre höher als zu jedem anderen Zeitpunkt seit mindestens zwei Millionen Jahren.“

Mittelmeerraum als Hotspot des Klimawandels

Der Weltklimarat nennt auch zwei Horrorentwicklungen, die zwar unwahrscheinlich, aber nicht auszuschließen seien. Zum einen ist das ein Anstieg des Meeresspiegels um zwei Meter bis Ende des Jahrhunderts, je nachdem, wie der Eisschild der Antarktis weiter schmilzt. Zum anderen ist das ein Kollaps der Atlantische Umwälzströmung (AMOC), die schon an Fahrt verloren hat. Sie verteilt kaltes und warmes Wasser im Atlantik und beeinflusst etwa den für Milliarden Menschen wichtigen Monsun in Afrika und Asien. Ein Zusammenbruch des Systems, zu dem auch der Golfstrom gehört, hätte auch Auswirkungen auf Europa.

Die globalen Mitteltemperatur liegt nach diesem Bericht für den Zeitraum 2011 bis 2020 knapp 1,1 Grad über dem vorindustriellen Niveau (1850-1900). Laut Pariser Klimaabkommen wollen die Staaten die Erderwärmung unter zwei Grad halten, möglichst bei 1,5 Grad. „Wenn wir die Emissionen nicht schnell genug herunterfahren und bis etwa 2050-2070 netto-null erreicht haben, werden wir beide Pariser Klimaziele verfehlen“, sagte Mitautor Douglas Maraun von der Universität Graz.

Besonders dem derzeit von extremer Hitze und Trockenheit gebeutelten Mittelmeerraum stehen nach dem aktuellen Sachstandsbericht des IPCC auch künftig verheerende Hitzewellen, Dürren und Brände bevor. Die Region mit ihren rund 500 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gelte demnach als „Hotspot des Klimawandels“.

Die Temperaturen im Mittelmeerraum würden in den nächsten Jahrzehnten voraussichtlich schneller ansteigen als im weltweiten Durchschnitt, warnt der IPCC. Dies werde wichtige Bereiche wie die Landwirtschaft, Fischerei und den Tourismus unter Druck setzen. Dutzende Millionen Menschen würden zudem von zunehmendem Wassermangel, Küstenüberschwemmungen und potenziell tödlicher Hitze betroffen sein.

Dem IPCC-Entwurf nach könnten bis zum Jahr 2050 bis zu 93 Millionen Menschen zusätzlich an den nördlich gelegenen Küsten des Mittelmeers von Hitzewellen betroffen sein. Im Nahen Osten und in Nordafrika könnte sich das Risiko älterer Menschen, an den Folgen extremer Hitze zu sterben, bis zum Jahr 2100 um das Drei- bis Dreißigfache erhöhen. Die Zahl hitzebedingter Todesfälle im nördlichen Mittelmeerraum könnte bis 2050 auf 20.000 pro Jahr steigen.

Fünf mögliche Szenarien

Der Weltklimarat entwirft fünf Szenarien. Darunter sind zwei, in denen die Welt etwa 2050 Klimaneutralität erreicht und danach mehr CO2 speichert als ausstößt. Nur damit könnte der Anstieg der Mitteltemperatur Ende dieses Jahrhunderts bei 1,8 Grad oder darunter bleiben.

Bei gleichbleibenden Emissionen bis 2050 würde die Temperatur Ende dieses Jahrhunderts um 2,1 bis 3,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau liegen. In zwei weiteren Szenarien mit mindestens der Verdoppelung der CO2-Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts wäre ein Anstieg der Temperatur um bis 5,7 Grad möglich.

Ein Realitätscheck: Die Energie-Agentur der US-Regierung (EIA) hat 2019 berechnet, dass der CO2-Ausstoß wegen der erst beginnenden Industrialisierung vieler Länder bis 2050 von heute im Jahr rund 36 Milliarden Tonnen auf mehr als 42 Milliarden Tonnen wächst. China produziert zur Zeit das meiste Treibhausgas, etwa ein Viertel der Gesamtmenge, vor den USA mit 18 und der EU mit 17 Prozent. Der Anteil der CO2-Emissionen, die in Senken wie Wäldern oder Ozeanen aufgenommen werden und nicht in der Atmosphäre bleiben, liegt nach dem Bericht bei etwa 44 Prozent.

Der Bericht wurde von mehr als 230 Forschenden aus 66 Ländern verfasst. Die Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger wurde von den 195 IPCC-Mitgliedsländern einstimmig abgesegnet.

Die veröffentlichen Daten und Ergebnisse des IPCC zeigten deutlich, „dass weiter wie bisher für uns alle keine Option ist. Wir werden überall auf der Erde, auch in Österreich, verstärkt mit uns nun bekannten Extrem- und Unwettern, Trockenheit und Hitze in unseren Regionen und Städten rechnen müssen“, so Klimaschutzministerin Gewessler. „Die Klimakrise sorgt für verwüstete Landstriche, schadet unserer Wirtschaft mit immens hohen Folgekosten in Milliardenhöhen, zerstört Lebensgrundlagen, Existenzen und Arbeitsplätze. Der Bericht bestätigt jedoch auch, dass bei Vorantreiben ambitionierter Klimaschutzmaßnahmen eine Eindämmung der voranschreitenden Klimakrise möglich ist.“

Einige zentrale Meilensteine im Klimaschutz in Österreich sind bereits umgesetzt. Etwa das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das den Ausbau erneuerbarer Energien als wesentlichen Baustein für ein klimaneutrales Österreich bis 2040 wesentlich vorantreibt. Ein Rekord-Bahnausbaupaket ist auf den Weg gebracht und Österreich nutzt auch den europäischen Wiederaufbaufonds primär für Klimaschutzzwecke. Mit dem Fit-for-55 Paket arbeitet das BMK auf EU-Ebene an den nächsten Schritten. Konkrete, wirksame Klimaschutzmaßnahmen sind genau das, was es jetzt braucht. Das bestätigt der heute veröffentlichte Bericht einmal mehr deutlich.

Extreme Auswirkungen auf Österreich

Wie stark sich die zwei Grad in Österreich bereits auswirken, sieht man gut an den Hitzetagen mit mindestens 30 Grad. So gab es zwischen 1961 und 1990 in den meisten Landeshauptstädten pro Jahr zwischen fünf und elf Hitzetage, die Rekordwerte lagen bei 20 Tagen. Zwischen 1991 und 2020 verzeichnete die ZAMG bereits 16 bis 22 Hitzetage, die Rekorde lagen schon bei über 40.

„Das könnte sich fortsetzen: Der derzeit noch extreme Wert von 40 Hitzetagen pro Jahr in Österreich wird bei einem weltweit ungebremsten Ausstoß von Treibhausgasen am Ende des Jahrhunderts der Normalfall sein“, erklärt die Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik in einer Aussendung. Die Rekorde würden dann „in einem derzeit noch völlig unvorstellbaren Bereich von 60 bis 80 Tagen über 30 Grad pro Jahr liegen“.

Regenverteilung ändert sich

Besonders im Sommer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten auch die Verteilung der täglichen Regenmenge geändert: Die Zahl der Tage, an denen es wenig regnet, wurde geringer. Um zehn bis 30 Prozent häufiger wurden in den vergangenen 30 Jahren hingegen Tage mit sehr viel Niederschlag registriert. „So kommt es zur scheinbar paradoxen Tatsache, dass im Sommer sowohl die trockenen Phasen als auch die starken Regenereignisse intensiver und häufiger wurden“, so die ZAMG.

Die zunehmende Hitze bringt auch Gefahren für die Gesundheit: „Hitze wird als Gefahr immer noch unterschätzt, weil es oft schwierig ist nachzuweisen, dass ein Tod durch zum Beispiel Herz-Kreislauf-Versagen von einer Hitzewelle verursacht wurde. Zahlreiche Studien belegen aber, dass in Europa deutlich mehr Menschen durch Hitzewellen sterben als durch Stürme, Hochwasser oder andere Wetterextreme“, so die ZAMG.

Vegetation

Der Klimawandel beeinflusst auch die Vegetation. In Österreich gibt es zwar keinen Trend zu weniger Niederschlag, trotzdem steigt die Gefahr von Dürren. Denn die stetige Erwärmung wirkt sich stark auf die Wasserbilanz aus: Je wärmer es ist, desto mehr Feuchtigkeit verdunstet aus den Böden in die Luft. Außerdem verlängert ein wärmeres Klima die Vegetationsperiode, und die Pflanzen entnehmen über einen längeren Zeitraum Wasser aus den Böden. Untersuchungen für den Alpenraum zeigen, dass in den kommenden Jahrzehnten die Schwankung der Niederschlagsmenge von Jahr zu Jahr größer werden könnte, wodurch die Dürregefahr steigt.

Obwohl Starkregen zunimmt, dürften auch Dürren häufiger werden.

Auch auf den Schneefall hat der Klimawandel enorme Auswirkungen. Den Prognosen der ZAMG zufolge bleibt es in den kommenden Jahrzehnten nur mehr oberhalb von etwa 1.500 bis 2.000 Meter kalt genug für Schneefall. In tiefen Lagen wird es stattdessen immer öfter regnen. Zum Beispiel hat in Österreich die Zahl der Tage mit einer Schneedecke in Wien, Innsbruck und Graz in den vergangenen rund 90 Jahren um etwa 30 Prozent abgenommen. Bei weltweit ungebremsten Emissionen von Treibhausgasen wird die Schneedeckendauer bis zum Jahr 2100 in Lagen unterhalb von etwa 400 Meter Seehöhe um rund 90 Prozent abnehmen, in Lagen um 1.500 Meter um etwas mehr als 50 Prozent.

Handlungsspielraum

Aber auch die ZAMG betonte, dass die verheerenden Zukunftsprognosen nicht eintreffen müssen, wenn noch gegengesteuert wird. Bei Einhaltung des Pariser Klimaziels könnte sich die Erwärmung in Österreich und weltweit in den nächsten Jahrzehnten knapp über dem aktuellen Niveau einpendeln.

„Uns als nationalem Wetterdienst ist es wichtig, möglichst detailliert die neuesten Erkenntnisse zur Vergangenheit und Zukunft des Klimas in Österreich bereitzustellen, damit eine sachliche Diskussion auf dem aktuellen Stand der Forschung stattfindet und über wichtige langfristige Maßnahmen entschieden werden kann“, sagte Marc Olefs, Leiter der Klimaforschung an der ZAMG. „Ein wichtiges Ergebnis der Forschung ist, dass es mit einem ambitionierten Klimaschutz immer noch möglich ist, die negativen Auswirkungen des Klimawandels zu dämpfen.“

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