Kategorie Klima- & Umweltschutz - 3. Januar 2022

Brüsseler Pläne, Atomkraft & fossiles Gas als grün zu labeln, sorgen für Empörung

Die EU-Kommission hat mit Plänen zur indirekten Förderung moderner Atom- und Gaskraftwerke für Entsetzen gesorgt. „Weder die Atomkraft noch das Verbrennen von fossilem Erdgas haben in der Taxonomie etwas verloren. Denn sie sind klima- und umweltschädlich und zerstören die Zukunft unserer Kinder“, zeigte sich auch Klimaschutzministerin Leonore Gewessler von der Entscheidung tief enttäuscht und bezeichnete die Vorgehen der EU-Kommission als Nacht- und Nebelaktion. „Alleine der Zeitpunkt der Veröffentlichung zeige, dass sie offensichtlich selbst nicht von ihrer Entscheidung überzeugt ist“, so Gewessler.

Zu Silvester abgeschaltet: Das Atomkraftwerk im bayerischen Gundremmingen. © apa/dpa

Tatsächlich hatten die Mitgliedstaaten und der Umweltausschuss des EU-Parlaments den Entwurf des Rechtsakts zur sogenannten Taxonomie am Silvesterabend zwei Stunden vor Mitternacht im Posteingang. Darin wird bestätigt, was viele Klimaexperten und -expertinnen seit Wochen befürchteten: Die EU-Kommission will Investitionen in Gas- und Atomkraftwerke unter bestimmten Bedingungen als klimafreundlich einstufen. Konkret sehen die Pläne der Kommission vor, dass in Ländern wie Frankreich, Polen und den Niederlanden geplante Investitionen in neue Atomkraftwerke (AKW) als nachhaltig klassifiziert werden können, wenn die Anlagen neuesten Technik-Standards entsprechen und ein konkreter Plan für eine Entsorgungsanlage für hoch radioaktive Abfälle spätestens 2050 vorgelegt wird. Zudem soll Bedingung sein, dass die neuen Anlagen bis 2045 eine Baugenehmigung erhalten.

Für Gewessler ist diese Einstufung absolut nicht akzeptabel. Für den Fall, dass die Kommission die Pläne tatsächlich so umsetzt, kündigte sie an, auf Basis eines Rechtsgutachtens den Klagsweg beschreiten zu wollen. Auch Organisationen wie Greenpeace und WWF warfen der Brüsseler Behörde am Wochenende vor, ein vollkommen falsches Signal zu setzen und ihre eigenen Klimaziele zu untergraben.

Zumindest Österreich will nichts unversucht lassen, um den Vorstoß doch noch zu stoppen, und droht mit einem Gang vor den Europäischen Gerichtshof. „Sollten diese Pläne so umgesetzt werden, werden wir klagen“, kündigte Gewessler an. Ausgangspunkt könnte dabei ein Rechtsgutachten sein, wonach Atomkraft laut der Taxonomie-Verordnung nicht den Anforderungen an eine nachhaltige Investition entspricht.

„Wir werden den in zu Neujahr öffentlich gewordenen Entwurf des Delegierten Rechtsakts der EU-Kommission zur Taxonomie in den kommenden Tagen genau prüfen. Wir haben bereits ein umfassendes Rechtsgutachten von der renommierten Rechtsanwaltskanzlei Redeker Sellner Dahs zur Atomkraft in der Taxonomie in Auftrag gegeben. Damit im Gepäck werden wir auch nicht davor zurückschrecken, rechtlich gegen die geplante Taxonomieverordnung vorzugehen. Wenn die Kommission diese Pläne tatsächlich umsetzen will, werden wir sie klagen. Denn die Atomkraft ist eine Technologie der Vergangenheit, deren Gefährlichkeit für Mensch und Umwelt eindeutig dokumentiert ist. Sie ist zu teuer und zu langsam, um uns im Kampf gegen die Klimakrise zu helfen. Sie hat keine Zukunft“, erklärt Gewessler weiter.

Gewessler betonte, dass das Einstufungsschema (Taxonomie) von Energieformen durch Brüssel als Label für Finanzprodukte, wie Investmentfonds diene. Der Finanzmarkt spiele eine große Rolle bei der Umleitung von Geldströmen hin zu mit Sicherheit umwelt- und klimaschützenden Technologien. Daher brauche es ein glaubwürdiges Label, auf das sich Anleger verlassen können: „Grün“ dürfe nur auf Finanzprodukten stehen, wo auch grün drin sein.

Gewessler kritisierte zudem die Vorgangsweise der EU-Kommission, den Vorschlag am Silvestertag zwei Stunden vor Mitternacht an die Mitgliedstaaten zu versenden. Den Mitgliedstaaten blieben nun nur zwölf Tage, um die Pläne zu kommentieren – und das „unter Ausschluss von öffentlicher Beteiligung, von Konsultation“. Mitstreitende dieser Linie sieht Gewessler in Deutschland und Spanien. Sie will weitere Allianzen gegen die Pläne bilden. Es blieben eine erhöhtes Quorum unter den Mitgliedsländern, eine einfache Mehrheit im EU-Parlament oder die avisierte Klage, um die Pläne zu Fall zu bringen.

In Deutschland gab es angesichts des beschlossenen Atomausstiegs und der Abschaltung von drei Kernkraftwerken am Silvesterabend vor allem wegen der Kommissionspläne für ein grünes Label für bestimmte Investitionen in neue AKW und Laufzeitverlängerung Aufregung. Die „Hochrisikotechnologie“ Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei falsch, kommentierte auch Wirtschaftsminister Robert Habeck. Der Atommüll werde die EU über Jahrhunderte belasten. In Deutschland wurden zum Jahreswechsel die AKW in Brokdorf, Grohnde und Gundremmingen stillgelegt. Die drei allerletzten deutschen Akw bei Landshut, im Emsland und bei Heilbronn sollen zum Jahresende folgen.

Die EU-Mitgliedstaaten haben nun bis zum 12. Jänner Zeit, den Entwurf zu kommentieren. Seine Umsetzung kann nach Angaben der EU-Kommission nur verhindert werden, wenn sich mindestens 20 EU-Staaten zusammenschließen, die mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU vertreten, oder mindestens 353 Abgeordnete im EU-Parlament. Ein derzeit unwahrscheinliches Unterfangen, da sich neben Österreich bisher lediglich Deutschland, Luxemburg, Dänemark und Portugal klar gegen das grüne Label der Atomkraft aussprechen. Eine Allianz, die zuletzt auf der Weltklimakonferenz in Glasgow gemeinsam gegen die Taxonomiepläne der EU auftrat.

„Wir wollen in Österreich bis 2040 und in der EU bis 2050 klimaneutral werden – da können wir es uns nicht leisten, das fossile Erdgas als „grüne Investition“ zu bezeichnen. Denn es setzt Unmengen an Co2 frei und schadet damit unserem Klima enorm. Das ist irreführend und schwächt die Glaubwürdigkeit der Taxonomie. Wir werden die Vorschläge genau prüfen und weiterhin auf EU-Ebene Verbündete suchen, um dagegen vorzugehen.“ so Gewessler abschließend.

#COP26: Österreich setzt sich mit Staatenbündnis für eine EU-Taxonomie ohne Kernkraft ein