Kategorie Energie - 7. März 2022

Wie können die Auswirkungen eines Kernkraftwerksunfalls eingeschätzt werden?

Durch die Berichte über den Krieg in der Ukraine sorgten Meldungen zu Kampfhandlungen rund um ehemalige und aktive Kernkraftwerke zuletzt für Aufsehen. Seit dem Reaktorunfall von Tschernobyl im Jahr 1986 ist das Thema Strahlenbelastung für viele Österreicher:innen ein besonders sensibles.

Heute werden verschiedene Melde-, Entscheidungshilfe- und Messsysteme herangezogen, um die Auswirkungen von Kernkraftwerksunfällen einschätzen zu können. Diese Systeme helfen dabei, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vorzubereiten und zu setzen.

 

 

So funktionieren internationale Meldesysteme

Bei einem Kernkraftwerksunfall müssen die betroffenen Staaten rasch informiert werden. Innerhalb der Europäischen Kommission und bei der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) bestehen Alarmierungs- und Meldesysteme. Diese wurden als direkte Reaktion auf den Reaktorunfall in Tschernobyl etabliert. Die Meldesysteme stehen rund um die Uhr zur Verfügung. Im Fall einer Meldung wird sowohl der 24/7 Bereitschaftsdienst im BMK als auch das Einsatz- und Koordinationscenter (EKC) im BMI alarmiert.

Das Land, in dem sich ein Kernkraftwerksunfall ereignet, muss so schnell wie möglich international darüber informieren. So können die möglicherweise betroffenen Staaten bereits vor einer Freisetzung radioaktiver Stoffe in die Umwelt reagieren und Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung einleiten.

„Im Falle eines Zwischenfalls in einem Kernkraftwerk, würde Österreich über die internationalen und europäischen Meldesysteme binnen kürzester Zeit Bescheid wissen, noch bevor es überhaupt zu einer Strahlenbelastung außerhalb der Anlage kommt“, erklärt Verena Ehold, Leiterin der Abteilung Strahlenschutz im BMK.

Entscheidungshilfesysteme für die rasche Abschätzung von Auswirkungen eines KKW-Unfalls

Das BMK betreibt sogenannte Entscheidungshilfesysteme. Mit Hilfe dieser Systeme können Auswirkungen von Kernkraftwerksunfällen auf Österreich rasch abgeschätzt werden.

Werden bei einem Unfall in einem Kernkraftwerk radioaktive Stoffe freigesetzt, ist es wichtig, über die Verfrachtung und Ausbreitung der radioaktiven Luftmassen Bescheid zu Wissen. Freigesetzte radioaktiv kontaminierte Luftmassen können sich –je nach Windstärke und Windrichtung – über weite Distanzen ausbreiten. Die Entscheidungshilfesysteme berechnen die Ausbreitung radioaktiver Luftmassen. Als Grundlage für diese Berechnungen dienen die aktuellen Wetterprognosen der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik.

„Mit diesen Entscheidungshilfesystemen können wir schnell einschätzen, wann die radioaktiven Luftmassen eintreffen und welche Regionen davon betroffen sein werden.“, so Ehold. Wird befürchtet, dass es zur Freisetzung radioaktiver Stoffe kommen kann, führt das BMK für den entsprechenden Standort bereits vorsorglich Berechnungen zu Verfrachtung und Ausbreitung durch.

Tägliche Ausbreitungsberechnungen für ukrainische KKW Aufgrund der aktuellen Situation in der Ukraine werden täglich Ausbreitungsberechnungen für die Standorte aller ukrainischer Kernkraftwerke durchgeführt. So kann rasch beurteilt werden, in welche Richtung sich die Luftmassen bei der aktuellen Wetterlage bewegen würden. Sollte es in einem ukrainischen Kernkraftwerk zu einem Unfall mit Freisetzung radioaktiver Stoffe kommen, liegen also bereits Ausbreitungsberechnungen vor.Informationen zur Entwicklung der aktuellen Situation aus Sicht des Strahlenschutzes finden Sie auf der Homepage des BMK.

Simulation einer Ausbreitung einer Freisetzung im KKW Saporischschja. ©BMK und ZAMG

Die Entscheidungshilfesysteme können außerdem abschätzen, welche radiologischen Auswirkungen auf Menschen, Umwelt und Lebensmittel zu erwarten sind.

„Die Systeme sind also in Lage, bereits vor dem Eintreffen radioaktiver Luftmassen Abschätzungen über deren Auswirkungen zu liefern. Dadurch können Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung rechtzeitig vorbereitet und umgesetzt werden.“, erklärt Ehold.

Einen detaillierten Artikel über Entscheidungshilfesysteme finden Sie auf der Strahlenschutz-Website des BMK.

Strahlenfrühwarnsystem überwacht Radioaktivität in der Umwelt

Wie wird nun genau die Radioaktivität in der Luft gemessen? Österreich verfügt seit 40 Jahren über ein flächendeckendes automatisches Überwachungssystem für Umweltradioaktivität. Das BMK betreibt rund um die Uhr ein automatisches System zur Messung der Ortsdosisleistung (ODL). Über das ganze Bundesgebiet sind mehr als 300 Sonden verteilt, die automatisiert Strahlungswerte erfassen. Die aktuellen Messwerte von 111 Stationen können Sie online einsehen. Bei den angezeigten Stationen handelt es sich um eine repräsentative und flächendeckende Auswahl von Standorten in allen Bezirkshauptstädten, Orten in Grenznähe und sowie um einige Höhenstationen. Einen Teil dieser Werte können Sie auch im ORF-Teletext auf der Seite 623 finden.

Abbildung einer Sonde des Strahlenfrühwarnsystems © GHIMM GmbH

Zehn vollautomatische Luftmonitorstationen liefern außerdem detaillierte Informationen über Art und Konzentration radioaktiver Stoffe in der Luft. Die hochempfindlichen Geräte registrieren jede Messwerterhöhung und senden automatisch einen Alarm an den 24 Stunden-Bereitschaftsdienst in der Abteilung Strahlenschutz.

„So können bereits kleinste Mengen an radioaktiven Teilchen in der Luft gemessen und anschließend im Labor ausgewertet werden“, versichert Ehold.

Was nach Bekanntwerden eines radioaktiven Unfalls geschieht, erfahren Sie auf der Strahlenschutz-Website des BMK.

Laboruntersuchungen der radioaktiven Stoffe in der Luft

Im Labor wird regelmäßig der Gehalt radioaktiver Stoffe in der Umwelt und in Lebensmitteln untersucht. Mit diesen Laboruntersuchungen sind bereits geringste Spuren radioaktiver Stoffe messbar. Erhöhte Werte werden den Behörden sofort gemeldet. Die Daten aus Laboruntersuchung sind wesentlich genauer, die Analysen dauern aber länger als jene des Strahlenfrühwarnsystems.

Die jüngsten Ergebnisse finden sich im aktuellen Umweltüberwachungsbericht des BMK „Radioaktivität und Strahlung in Österreich 2020“ auf der Strahlenschutzwebsite des BMK.

Automatischer Datenaustausch von Messwerten in Europa

Österreich ist international gut vernetzt durch den online Datenaustausch hat die Abteilung Strahlenschutz direkten Zugriff auf die radiologischen Messwerte Österreichs Nachbarstaaten.

Ehold dazu: „Der Großteil der europäischen Länder betreibt Strahlenfrühwarnsysteme. Vereinbarungen machen einen Datenaustausch zwischen den Ländern möglich. Somit stehen Österreich auch Daten aus anderen Messnetzen ohne Zeitverzögerung zur Verfügung.“

Auf der europäischen Datenplattform EURDEP können Strahlenmessdaten aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft eingesehen werden.

Über die bilateralen Informationsabkommen informieren wir auf der Strahlenschutz-Website des BMK.

Die Messwerte vieler Staaten sind online abrufbar. Nachfolgend sind einige Links zu Messdaten zusammengestellt:

 


Strahlenmonitor für Österreich

111 Stationen des österreichischen Strahlenfrühwarnsystems werden auf einer jederzeit abrufbaren Online-Karte als Quadrate dargestellt, deren Farbe vom Messwert abhängt. Stationen, für die keine aktuellen Werte vorhanden sind, werden in grauer Farbe angezeigt. Die Messdaten werden automatisch und live auf diese Webseite übertragen. Die angezeigten Werte sind Stundenmittelwerte.

https://sfws.lfrz.at/

Beim Berühren des Stationssymbols mit der Maus werden Informationen zur Station samt aktuellem Messwert angezeigt, beim Anklicken des Symbols öffnet sich ein Fenster mit dem zeitlichen Verlauf der Ortsdosisleistung als Grafik und als Tabelle. Für alle Stationen können die Messdaten der letzten 7 Monate abgerufen werden.

Die normale und natürliche „Ortsdosisleistung“ (externe Strahlung) ist örtlich unterschiedlich und liegt in Österreich zwischen etwa 70 und 200 Nanosievert pro Stunde (nSv/h). Diverse Ereignisse wie zum Beispiel starke Regenfälle können zu kurzzeitigen Schwankungen der Messwerte führen.