Kategorie Klima- & Umweltschutz - 18. November 2021
Biodiversität: 600 Millionen Brutvögel in der EU verschwunden
In der Europäischen Union sind laut einer internationalen Studie in fast 40 Jahren rund 600 Millionen Brutvögel verschwunden. „Es handelt sich dabei aber kaum um imposante Großvögel, sondern um die vielen unscheinbaren Finken, Sperlinge und Lerchen, die unsere Wiesen und Felder lebendig machen“, sagt Leif Miller, Geschäftsführer des Naturschutzbundes (NABU) in Deutschland.
Wissenschafter der britischen Vogelschutzorganisation RSPB, dem internationalen Dachverband des NABU BirdLife International und der Tschechischen Gesellschaft für Ornithologie haben Daten von 378 der 445 in der EU heimischen Vogelarten im Zeitraum 1980 bis 2017 ausgewertet. Besonders betroffen ist der Haussperling mit einem Rückgang von 247 Millionen Individuen, gefolgt von der Schafstelze mit 97 Millionen, dem Star mit 75 Millionen und der Feldlerche mit 68 Millionen Individuen.
Vor allem zu den Spatzen, die sowohl im städtischen als auch im ländlichen Raum Rückgänge verzeichneten, sei bereits viel über die Ursachen geforscht worden. Es gebe aber noch keine gesicherten Erkenntnisse, berichtet Hauptautorin Fiona Burns. Möglicherweise spielten Luftverschmutzung und ein reduziertes Nahrungsangebot eine Rolle. Die Studie biete aber auch Anlass zur Hoffnung, so Burns. Der Großteil der Rückgänge sei in der ersten Hälfte des Studienzeitraums registriert worden. Aus anderen Studien sei bekannt, dass Artenprogramme und EU-Richtlinien vielen Vögeln geholfen hätten.
„Der erhebliche Rückgang der Biodiversität in jüngster Zeit zeigt aber, dass noch weitere umfassende Erhaltungsmaßnahmen erforderlich sind“, so NABU-Vogelschutzexperte Eric Neuling. „Es besteht ein dringender Bedarf, Vögel, die mit der Landwirtschaft verbunden sind, sowie Langstrecken-Zugvögel wie Schafstelze und Fitis auf ihren Zugrouten zu schützen“, ergänzt der Experte.
40% weniger Brutvögel in Österreich
Bereits Ende Mai warnte BirdLife Austria vor einem extremem Vogelsterben. Seit 1998 seien laut BirdLife Monitoring der Brutvögel Österreichs rund 40 Prozent der Vögel von Feldern und Wiesen verschwunden. Dabei wurden 61 Prozent weniger Braunkehlchen, 48 Prozent weniger Baumpieper, 34 Prozent weniger Goldammern gezählt. Eine verzögerte Mahd von Blumenwiesen könnte diesen Arten das Überleben sichern, meinen die Vögelschützer. Früher habe sie zur Zeit der Hollerbüte begonnen, die intensivierte Land- und Milchwirtschaft setze hingegen auf möglichst frühes und häufiges Mähen.
Das sei die Hauptursache des Wiesenvogelsterbens. „Je nach Höhenlage beginnen unsere Wiesenvögel gerade mit dem Nestbau oder ziehen ihre Jungen auf. Ein früher Wiesenschnitt führt zum Tod der Muttervögel, die während des Brütens ihr Nest erst im letzten Moment verlassen, sowie der Jungvögel, die noch nicht flügge sind“, sagte Katharina Bergmüller von BirdLife Österreich. Zugleich führten starke Düngung und fehlendes Aussamen der Wiesenblumen zu Biodiversitätsverlust und schlussendlich zum Aussterben der Blumen, Insekten und Vögel. Die Feldlerche etwa habe Grünlandflächen fast völlig verlassen.
„Eine verzögerte Mahd bis zumindest nach dem 15. Juni in Tieflagen oder eine zehnwöchige Pause zwischen den Mahden sind die Grundvoraussetzungen für das Wiedererlangen der Artenvielfalt“, schlug Bergmüller vor. Die Tierwelt brauche zehn Prozent Naturflächen wie Hutweiden und Hecken, und die Hälfte aller Grünlandflächen müsse wieder zwei- bis dreimähdig werden, das bedeutet maximal zwei- bis dreimaliger Schnitt pro Jahr. Der aktuelle Entwurf für einen Strategieplan der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) verspreche nur auf sieben Prozent der Fläche Verbesserungen.
Die Daten des Brutvogel-Monitorings von BirdLife zeigen allerdings auch, dass der langjährige Abwärtstrend beim Bestand der Feld- und Wiesenvögel zumindest gestoppt scheint. Für eine echte Trendumkehr aber „müssten die Fördermaßnahmen des ÖPUL-Programmes (Österreichisches Programm für umweltgerechte Landwirtschaft, Anm.) größerflächig und mit höherem Nutzen für die Vogelwelt vor allem im Grünland auf deutlich größerer Fläche angeboten werden“, so Bergmüller.