17. November 2020

Klimakrise: Erneuerbare Energien als Schlüssel für Österreichs Klimaneutralität

Mit ambitionierten Ankündigungen puncto Klimapolitik haben selbst die größten Wirtschaftsräume aufhorchen lassen: China will bis 2060 klimaneutral werden, die EU hat dieses Ziel bereits für 2050 ausgegeben, auch Japan und Südkorea haben sich auf diesen Zeitraum festgelegt, selbst die USA werden wohl die Nettonull bei klimaschädlichen Emissionen bis 2050 wieder ins Visier nehmen. Österreich möchte hier noch einmal zehn Jahre vorangehen und bis 2040 Klimaneutralität erreichen.

Wie ernst alle Länder solche Ambitionen angesichts der momentanen Wirtschaftskrise nehmen und ob respektive wieviele Staaten sich tatsächlich ökologisch aus der Krise herausinvestieren, werde sich erst in den kommenden zwölf bis 18 Monaten zeigen. „Die Politik ist in fast allen Ländern am Hin-und-her-Schwanken“, meint Patrick Graichen, Direktor des deutschen Thinktanks AGORA Energiewende, der auf Einladung des Bundesministeriums für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) notwendige Schritte Österreichs am Weg zur Klimaneutralität mit Klimaschutzministerin Leonore Gewessler in einem Pressegespräch erörterte.

Ein „Upgrade Österreichs“ schlug dabei die Klimaschutzministerin vor, für das sie „das Land ein Stück weit umbauen“ möchte. Mit vornehmlich ökologischen Investitionen sieht sie die Republik auf einem guten Weg, dass Österreich unter dem Eindruck der Corona-Pandemie einen ökosozialen Wiederaufbau der Wirtschaft mit ambitionierten Zielen zur Bewältigung der Klimakrise eng verknüpft. Green Recovery lautet hier das Stichwort: Klima- und umweltschonende Investitionen, die das Klimaschutzministerium (BMK) in den Konjunkturpaketen der Bundesregierung verankert hat.

Investitionspaket zur Klimaneutralität

So verwies Gewessler einmal mehr auf ein zentrales Klimainvestitionspaket, welches heuer in Österreich mit zwei Klimamilliarden, jeweils 2021 und 2022, beschlossen wurde, darin enthalten sind umfassende Investitionsprämien, eine Sanierungsoffensive, der Ausbau Erneuerbarer Energien sowie klimafreundlicher Technologien für die Zukunft, deutlich erhöhte Mittel für den Klima- und Umweltschutz sowie Konjunkturpakete für Gemeinden, Schulen und den Öffentlichen Verkehr. Der European Green Deal bildet dabei einen zusätzlichen Rahmen, bis Sommer 2021 soll auch auf europäischer Ebene ein umfangreiches Aktionspro­gramm vorliegen.

Es ist gut möglich, dass das Jahr 2020 nicht nur wegen der Corona-Pandemie in die Geschichte eingeht, sondern auch als das Jahr einer Trendwende bei den globalen CO₂­-Emis­sionen. So verfolgen viele Länder eine mehr oder weniger stark ausgeprägte Green-Recovery­-Strate­gie. Aufbauhilfen für Industrie und Wirtschaft werden nicht nur in Österreich mit Blick auf die Klimaziele diskutiert. Finanzhilfen sollen am Ende nicht als Fehlinvestitio­nen verpuffen. Im Ergebnis ist es daher gut möglich, dass 2019 mit gut 33 Gigatonnen CO₂ vorerst das absolute Peak­-Jahr der energiebedingten globalen CO₂­-Emissionen war.

Für die Klimaschutzministerin ist klar: „Damit Österreich wie geplant bis 2040 klimaneutral werden kann, müssen jetzt die Weichen richtig gestellt werden“, die nächsten fünf bis zehn Jahre seien entscheidend. „Wenn wir jetzt nicht agieren, dann wird der Krisenzustand zu einem Dauerzustand.“ Schon jetzt seien die vom Klimawandel verursachten Schäden durch Hagelstürme, Trockenheit oder Hochwasser enorm – zwei Milliarden seien es in Österreich jährlich und könnten bis 2050 auf bis zu 12 Milliarden Euro pro Jahr steigen. Wie aber kann das funktionieren, ein Österreich ohne Kohle, Erdöl und Erdgas zu schaffen? Und was ist dafür in den kommenden zehn Jahren nötig?

Das Paradigma der Klimaneutralität erfordere zunächst neue Zwischenziele für 2030 prognostizieren die Expertinnen und Experten der AGORA Energiewende, die jüngst eine Studie über ein machbares Szenario für ein klimaneutrales Deutschland vorlegten. Das Ergebnis: Klimaneutralität 2050 und ein neues Zwischenziel von minus 65 Prozent Treibhausgase bis 2030 sind machbar, brauchen aber eine komplett andere Gangart in der Klimapolitik. Damit sich die Nettonull in wenigen Jahrzehnten ausgeht, müssten Emissionen auch in Österreich bis 2030 gegenüber 1990 jedenfalls bereits um die 60 Prozent sinken, rechnete Graichen vor. Auch die EU-­Kommission hatte erst kürzlich vorgeschlagen, dass Europa sein 2030-Klimaschutzziel von 40 Prozent auf mindestens 55 Prozent weniger Emissionen erhöht, Dänemark möchte in diesem Zeitraum sogar minus 70 Prozent erreichen.

Kernelemente auf dem Weg dorthin müssen laut Graichen eine Energiewirtschaft auf Basis Erneuerbarer Energien, die weitgehende Elektrifizierung, die smarte und effiziente Modernisierung des Gebäudebestands sowie der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft für die Industrie sein. Vor allem die Umstellung auf erneuerbare Energien ist aus Sicht des Experten unumgänglich – nicht zuletzt, weil der Strombedarf bis 2050 zum Leben und Wirtschaften um 50 Prozent steigen wird, wie Graichen vorrechnet. „Klimaneutralität heißt, dass Strom unsere Primärenergie sein wird.“ Der zusätzliche Strom wird von Wind- und Solaranlagen kommen müssen. Beim Heizen werde man künftig vor allem auf Wärmepumpen und Biomasse setzen müssen, da es 2040 oder 2050 dafür kein Öl und Gas mehr geben und sogenannter grüner Wasserstoff nur begrenzt verfügbar sein werde. In Innenstädten werde es grüne Fernwärme sein, der Verkehr zu 100 Prozent elektrisch.

Dennoch werde es auch in der Zeit nach dem Ausstieg aus Öl und Gas noch einen hohen Importbedarf bei Energie geben. Dass sich Wasserstoffautos durchsetzen werden, hält Graichen für unrealistisch. Angesichts der angekündigten E-Auto-Flotten der großen Hersteller sei die Entscheidung im Mobilitätssektor längst getroffen – die Diskussion hätte „sich selbst beerdigt“. Ganz anders sähe es aber mit der Wasserstoff­wirtschaft im Industriesektor aus, wo gehöriges Potential zur Einsparung von Millionen Tonnen CO₂ läge und Klimaschutz und Modernisierung Hand in Hand ginge. Vorreiter könnte die Stahlindustrie sein, wo Dekarbonisierung in industriellen Prozessen durch entsprechende Technologieentwicklungen ermöglicht werden kann.

Green Recovery: So gelingt der ökologische Wirtschaftsaufschwung