Kategorie Klima- & Umweltschutz - 14. April 2021

Radverkehr: Studien untermauern Wirkung von Pop-Up-Bikelanes & Umstieg aufs Rad

In der Corona-Krise haben sich viele Menschen auf ihre zwei Räder verlassen. Das Radfahren hat im vergangenen Jahr einen kräftigen Aufschwung erlebt – als gesunde, flexible und kostengünstige Form der Fortbewegung. Auch in Wien ließ sich dieser Boom direkt mit Zahlen belegen: Der Anteil der Wege, die mit dem Rad zurückgelegt wurden ist in Wien von sieben Prozent im Jahr 2019 auf neun im Jahr 2020 gestiegen. An den 13 Dauerzählstellen zusammen haben die Radverkehrsmengen von 2019 auf 2020 um zwölf Prozent zugenommen. Bei den Zählstellen mit überwiegendem Freizeitverkehr konnten gar Steigerungen um 33 Prozent, wie am Donaukanal, und bis zu 51 Prozent etwa an der Linken Wienzeile auf Höhe Auer-Welsbach-Park verzeichnet werden.

© Fahrrad Wien/Oliver Oth

Wien hat wie zahlreiche andere Metropolen seit Beginn der Pandemie auch auf sogenannte Pop-up-bikelanes (PUBL), zu Deutsch Pop-up-Radwege gesetzt, bei denen für Fahrradfahrende vorübergehend eine Fahrbahn-Spur oder ein Parkstreifen zur temporären Nutzung freigegeben wird. Von New York bis Nantes, von Bogota bis Berlin poppten diese 2020 auf, nicht von ungefähr werden sie von Sprachwissenschaftler:innen unter den tausend Begriffen geführt, mit denen die Pandemie den Wortschatz der deutschen Sprache prägte. Wie in Wien sorgten die neuen Radwege fast überall auch für heftige Debatten darüber, ob es sich lediglich um kostspielige Symbolpolitik handele oder damit wirklich mehr Menschen auf Zweiräder umsteigen würden. Aktuelle Studien legen nun nahe, dass Pop-up-Radwege tatsächlich zu mehr Radverkehr führen.

So untersuchte das Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien im Auftrag der Mobilitätsagentur Wien die Wiener Pop-up-Radinfrastruktur im Jahr 2020 (zusammen mit den temporären Begegnungszonen). Die Ergebnisse sind eindeutig: die Pop-up-Radwege in der Wagramer Straße, Lassallestraße, Praterstraße und Hörlgasse wurden sehr gut angenommen. Sowohl die Radverkehrsmengen an den Zählstellen als auch der Radverkehrsanteil bei den gesamten zurückgelegten Wegen ist im Corona-Jahr 2020 beträchtlich gestiegen. Die Forschenden kommen allerdings auch zu dem Schluss, dass die umgesetzten 2,4 Kilometer im gesamten Hauptradnetz der Stadt Wien viel zu wenig waren. Allein 250 Kilometer des Netzes würden laut TU Wien entlang von Hauptstraßen verlaufen und verfügen über keine sichere und attraktive Radinfrastruktur. Da die Radverkehrszahlen seit Abschluss der Studie weiter gestiegen seien, sehen die Studienautor:innen eine „Wiedererrichtung und massive Ausweitung der Pop-up-Radinfrastruktur als dringend notwendig“.

 

Eine Pariser Untersuchung zeigte bereits im Dezember, dass fast 60 Prozent der angetroffenen Radfahrenden vor Errichtung der (temporären) Radinfrastruktur dort nicht unterwegs waren und eine im Fachjournal PNAS veröffentlichte Studie zeigt ebenfalls die deutliche Wirkung der Pop-up-Radwege: Städte, die Pop-up-Radinfrastruktur errichtet haben, konnten demnach den Radverkehr, im Vergleich zu Städten, die keine Maßnahmen gesetzt haben, um bis zu 48 Prozent steigern. Für ihre Untersuchung haben Sebastian Kraus und Nicolas Koch vom Berliner Klimaforschungsinstitut MCC (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) die Daten von 736 amtlichen Fahrrad-Zählstationen in 106 europäischen Städten – inklusive Wien – sowie Daten des Monitorings des Europäischen Radfahrerverbands zu den Corona-Radwegen genutzt. Störfaktoren wie die grundsätzlich höhere Motivation, in Zeiten der Pandemie mit dem Rad statt mit der U-Bahn zu fahren, oder Unterschiede bei Bevölkerungsdichte, Dichte des Öffi-Netzes, Topografie oder Wetter wurden herausgerechnet.

 

Das Ergebnis: Als Einzelmaßnahme haben die Pop-Up-Radwege von März bis Juli 2020 zu einer Zunahme des Radverkehrs zwischen elf und 48 Prozent geführt. Die Autoren gehen davon aus, dass der Effekt dann am größten ist, wenn es in Städten ein großes Potenzial für Fahrradverkehr gibt, bisher aber die Wege dafür gefehlt haben. Nachdem Pop-Up-Radwege vielfach auf Hauptstraßen eingerichtet wurden, seien durch diese auch Lücken im Radnetz gefüllt und so das gesamte Netz verbessert worden.

Radfahren in Städten besser fürs Klima

Ob die Zunahme des Radverkehrs auch nachhaltig ist, muss sich laut den Wissenschafter:innen allerdings erst weisen: „Es ist weitere Forschung notwendig, um zu untersuchen, ob dieser Wandel nachhaltig ist und ob ähnliche Ergebnisse auch abseits einer Pandemie erreicht werden können.“ Sie plädieren jedenfalls für eine „sauber gemachte Wirksamkeitsevaluierung“ anstelle von ideologischen Grundsatzdebatten über städtische Verkehrsplanung und Klimapolitik.

Schon jetzt fahren rund drei Millionen Österreicher:innen täglich oder mehrmals die Woche mit dem Fahrrad. Doch auch hier ist noch immer großes Potential vorhanden: „Rund die Hälfte aller Autofahrten ist kürzer als fünf Kilometer – das sind Strecken die gut mit dem Fahrrad zurückgelegt werden können“, so Klimaschutzministerin Leonore Gewessler.

Expert:innen schätzen, dass sich in Ballungsgebieten bis zu 30 Prozent der Pkw-Fahrten auf den Radverkehr verlagern ließen. Die bessere Erschließung dieses Potenzials zur Entlastung der Umwelt und der Menschen in der Stadt ist eine wichtige Aufgabe des Klimaschutzministeriums (BMK). Dass solche Ziele durchaus erreichbar sind, zeigt die Verkehrsmittelwahl in Städten wie Kopenhagen, Amsterdam, Groningen, wo der Radverkehrsanteil bereits den Öffi-Verkehr eingeholt oder gar überholt hat.

Bringt der Radfahr-Boom Arbeitswege auf Klimakurs?

Damit Städte und Gemeinden diesen Trend aufrecht erhalten und adäquat auf den Rad-Boom reagieren können, unterstützt auch das BMK den Ausbau des Radverkehrs und sauberer Mobilität mit deutlich erhöhten Förderungen. Das im vergangenem Sommer präsentierte Budget dafür wurde im Vergleich zum Vorjahr fast verzehnfacht.

Die Förderschwerpunkte im Bereich Radverkehr und klimafreundliches Mobilitätsmanagement in der Höhe von 40 Millionen Euro werden auch 2021 fortgeführt. Verlängert wird auch der Förderschwerpunkt der Radschnellverbindungen (Rad-Highways). Für 2021 wurde zudem die klimaaktiv mobil Förderrichtlinie für Maßnahmen zur aktiven Mobilität verbessert und im Einvernehmen mit dem Finanzministerium bis 2031 verlängert.

Motivation zum Umstieg aufs Rad

Auch auf dem Weg zu Österreichs Klimaneutralität bis 2040 wird die Mobilitätswende eine Rolle spielen. Ein Ziel der Bundesregierung ist es dabei, den Fahrradanteil von sieben auf 13 Prozent dauerhaft zu verdoppeln. Wie eine solche Steigerung des Radanteils auch im Unternehmensbereich gelingen kann, untersucht in einer Sustainability Challenge das BMK derzeit mit Studierenden. Das Projekt fokussiert dabei auf Klein- und Kleinstunternehmen. Im derzeit geltenden Mobilitätsmanagement würden ausgerechnet diese nicht berücksichtigt. Auch diese Lücke zu schließen, ist ein Ziel des Projekts.

Der tägliche Arbeitsweg macht einen hohen Anteil des täglichen Verkehrsaufkommens in Wien aus. Die durchschnittliche Weglänge beträgt dabei circa 10 km – nach wie vor erhebliches Potential für den Umstieg auf das Fahrrad. Eine aktivere Mobilität von Mitarbeitenden wäre nicht nur ein klimafreundlicher Schritt, sondern durchaus auch im Interesse der Arbeitgeber. Körperliche Fitness bedeuteten auf lange Sicht auch mehr Wohlbefinden, eine positivere Lebenseinstellung und letztlich eine höhere Leistungsfähigkeit sowie weniger Krankenstandstage.

Wer mit dem Rad fährt, spart dabei selbst im Vergleich zu Elektroautos bis zu zehnmal mehr CO2-Emissionen ein. Zu diesem Schluss kommt eine aktuellen internationale Studie zur aktiven Mobilität in Städten. Diese sollten demnach mehr auf Rad- und Fußwege setzen, um CO2-neutral zu werden. Um die Mobilitäts- und Energiewende in den Städten zu schaffen, gebe es noch reichlich Aufholbedarf – vor allem bei der Umstellung der Mobilität vom Autofahren auf Radfahren und Zu-Fuß-Gehen, schreiben die Wissenschaftler:innen internationaler Universitäten, die für ihre Studie 4.000 Menschen in London, Antwerpen, Barcelona, Wien, Örebro, Rom und Zürich über einen Zeitraum von zwei Jahren zu ihren täglichen Verkehrsmitteln befragten und so die damit einhergehenden Emissionen berechneten.

Das Ergebnis: Menschen, die angaben, täglich mit dem Fahrrad zu fahren, hatten um 84 Prozent niedrigere Verkehrsemissionen als jene, die das nicht tun. Pro zurückgelegter Strecke seien die CO2-Emissionen beim Fahrradfahren 30-mal niedriger als jene mit einem Diesel- oder Benzinauto und immer noch zehnmal niedriger als mit einem Elektroauto – die Anschaffungs-, Entsorgungskosten und Lebensdauer des Gefährts immer eingerechnet.

Würde nur einer von fünf Einwohnern in Städten seine Fortbewegung vom Auto ganz aufs Radfahren umstellen, ließen sich die Emissionen im Autoverkehr in Europa laut der Studie um acht Prozent reduzieren. Wer täglich eine Fahrt mit dem Auto durchs Radfahren ersetzt, spare im Jahr in etwa so viele Emissionen, wie bei einem Flug von London nach New York ausgestoßen werden.

Ganz »Österreich radelt« in den dritten Frühling